Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

   
    
2 Die Stellung der neueren Physik zur mechanischen Naturanschauung 
Werk, kein physikalischer Satz ist gegenwärtig vor Anzweiflungen 
sicher, alle und jede physikalische Wahrheit gilt als diskutabel. Es 
sieht manchmal fast so aus, als wäre in der theoretischen Physik die 
Zeit des Chaos wieder im Anzuge. 
Aber je verwirrender die Fülle der neuen Tatsachen, je bunter die 
Mannigfaltigkeit der neuen Ideen auf uns eindringt, um so gebiete- 
rischer erhebt sich wieder auf der anderen Seite der Ruf nach einer 
zusammenfassenden Betrachtungsweise. Denn so gewif? der Erfolg 
eines jedweden Experimentes nur durch eine passende Anordnung 
und Deutung der Versuche gewährleistet wird, ebenso sicher kann 
eine in weiterem Umfang brauchbare Arbeitshypothese, die zu rich- 
tigen Fragestellungen verhilft, nur durch eine zweckmäßige physi- 
kalische Weltanschauung vermittelt werden. Und nicht nur für die 
Physik, für die ganze Naturwissenschaft ist dieser Ruf nach einer zu- 
sammenfassenden Naturanschauung bedeutungsvoll; denn eine Um- 
wälzung im Bereich der physikalischen Prinzipien kann nicht ohne 
Rückwirkung auf alle übrigen Naturwissenschaften bleiben. 
Diejenige Naturanschauung, die bisher der Physik die wichtigsten 
Dienste geleistet hat, ist unstreitig die mechanische. Bedenken wir, 
daß dieselbe darauf ausgeht, alle qualitativen Unterschiede in letzter 
Linie zu erklären durch Bewegungen, so dürfen wir die mechanische 
Naturanschauung wohl definieren als die Ansicht, daß alle physi- 
kalischen Vorgänge sich vollständig auf Bewegungen von unveränder- 
lichen, gleichartigen Massenpunkten oder Massenelementen zurück- 
führen lassen. Jedenfalls werde ich hier in diesem Sinne von der 
mechanischen Naturanschauung sprechen. Ist nun diese Hypothese 
auch heutzutage der neueren Entwicklung der Physik gegenüber 
grundlegend und durchführbar? 
Von jeher hat es Physiker und Philosophen gegeben, welche die 
Bejahung dieser Frage als etwas Selbstverständliches ansahen, ja sie 
geradezu als ein Postulat der physikalischen Forschung betrachteten. 
Nach dieser Auffassung besteht die Aufgabe der theoretischen Physik 
direkt darin, alle Vorgänge in der Natur auf Bewegung zurückzufüh- 
ren. Demgegenüber gab es von jeher skeptischere Naturen, welche 
den fundamentalen Charakter einer solchen Formulierung des Pro- 
blems bezweifelten, welche die mechanische Naturanschauung für zu 
eng hielten, um die ganze bunte Mannigfaltigkeit sämtlicher Natur- 
vorgänge zu umspannen. Man kann nicht sagen, daß die eine der bei- 
den entgegengesetzten Meinungen bisher das entschiedene Über- 
gewicht errungen hätte. Erst in unseren Tagen scheint sich eine 
endgültige Entscheidung vorzubereiten, als Endresultat einer tief- 
gehenden Bewegung, welche die theoretische Physik ergriffen hat — 
einer Bewegung von solch radikaler, umwälzender Art, daß sie ihre 
Wellen weit über die eigentliche Physik hinaus in die Nachbargebiete 
  
  
  
 
	        
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