Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
110 Determinismus oder Indeterminismus? 
weise ist, nämlich um die Voraussetzungen, mit denen man an die 
Beurteilung einer Willenshandlung herangeht. Diese Voraussetzun- 
gen sind, wie ich bei früheren Gelegenheiten wiederholt und ausführ- 
lich darzulegen suchte, wesentlich andere für einen fremden Be- 
obachter wie für das eigene Ich. Der fremde Beobachter vermag, 
wenigstens grundsätzlich, die Motive meiner eigenen Willenshand- 
lungen, auch der mir selber unbewußten, vollständig zu durchschauen. 
Wieweit er das tatsächlich fertig bringt, ist lediglich eine Frage 
seiner geistigen Überlegenheit. Dagegen ist es grundsätzlich keinem 
Menschen, mag er geistig noch so hoch stehen, möglich, die Motive 
einer von ihm selber zu treffenden Willensentscheidung vorher voll- 
ständig zu erkennen, und zwar deshalb, weil die eigenen Willens- 
motive durch das Nachdenken über sie beeinflußt und verändert wer- 
den. Daher bleiben die bei der Willensentscheidung endgültig aus- 
schlaggebenden Motive stets unterhalb der Schwelle des eigenen Be- 
wußtseins und entziehen sich dem abwägenden Verstand. 
Lassen wir, um das Ergebnis unserer Betrachtung auch hier un- 
zweideutig zu formulieren, das Wort „wirklich“ wieder aus dem 
Spiel, so können wir sagen: vom objektiv wissenschaftlichen Stand- 
punkt aus betrachtet ist der menschliche Wille determiniert, dagegen 
vom subjektiven Standpunkt des Selbstbewußtseins aus betrachtet ist 
der menschliche Wille frei. In diesen beiden Sätzen steckt weder 
eine Unklarheit noch ein begrifflicher Widerspruch. Sie stehen sich 
vollkommen koordiniert gegenüber, man darf keinen von ihnen ge- 
ringer bewerten als den anderen. 
IV. 
Wenn in so grundverschieden gearteten Fällen, wie in den bisher 
besprochenen Beispielen, die nämlichen eigentümlichen Tatbestände 
zum Vorschein kommen, so werden wir berechtigt sein, diesen Tat- 
beständen eine allgemeinere. Bedeutung beizulegen und sie auch für 
andere Fälle als zutreffend anzunehmen. Danach ist ein Geschehnis, 
sei es in der materiellen oder in der geistigen Welt, niemals schlecht- 
hin determiniert oder indeterminiert. Vielmehr gilt das eine oder 
das andere je nach den Voraussetzungen, von denen man bei der 
Prüfung der Frage ausgeht. Diese Voraussetzungen müssen vorher 
genau angegeben werden, sonst hat die Frage nach dem Determinis- 
mus oder Indeterminismus gar keinen Sinn. Im übrigen können von 
vornherein ganz verschiedenartige Voraussetzungen möglich sein. 
Daher ist es niemals ausgeschlossen, daß durch eine passende Ände- 
rung in der Wahl der Voraussetzungen ein indeterminiertes Ge- 
schehen zu einem determinierten wird, oder umgekehrt. 
Aber noch eine zweite allgemeine Folgerung von nicht minderer 
Wichtigkeit läßt sich aus den übereinstimmenden Ergebnissen unse- 
    
   
   
    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
   
  
	        
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