Determinismus oder Indeterminismus?
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daher, daß die zu entscheidenden Fragen immer feiner werden und
daß unsere Meßinstrumente, die doch alle aus einer ungeheuren An-
zahl von Atomen bestehen, dieser Feinheit nicht mehr zu folgen ver-
mögen. Es ist unmöglich, das Innere eines Körpers zu sondieren,
wenn die Sonde größer ist als der ganze Körper.
Aber zum Glück besitzen: wir ein Messungsinstrument, das an
keinerlei Grenzen der Feinheit gebunden ist, das ist der Flug unserer
Gedanken. Gedanken sind feiner als Atome und Elektronen, in Ge-
danken vermögen wir ebenso leicht einen Atomkern zu spalten wie
eine kosmische Distanz von Millionen Lichtjahren zu überspringen.
Man hört manchmal die Ansicht aussprechen, daß die Natur viel
weitere Gebiete umspanne als die menschliche Einbildungskraft zu
fassen vermöge. Gerade das Gegenteil ist richtig. In dem unermeß-
lichen Reich der Gedankenwelt nimmt die Natur nur einen ganz
schmalen Bezirk ein. Zwar bedarf das Spiel der Gedanken zu seiner
Anregung stets eines Anstoßes von außen, durch irgendein Natur-
erlebnis. Aber wenn die Anregung einmal erfolgt ist, vermag die
Einbildungskraft den begonnenen Faden selbsttätig fortzuspinnen bis
in Gebiete, die weit jenseits alles Naturgeschehens liegen. Von
dieser Fähigkeit, in Gedanken über die Natur hinauszugehen, macht
die physikalische Forschung von jeher erfolgreich Gebrauch. Schon
in der klassischen Mechanik hat sich gezeigt, daß die Grundgesetze
der Bewegungen materieller Systeme auf die allgemeinste und ein-
fachste Form gebracht werden können, wenn man auch sogenannte
virtuelle Veränderungen zur. Betrachtung heranzieht, das heißt,
solche Veränderungen, die nicht in der Natur, sondern nur in Ge-
danken vorkommen. Wir dürfen nicht daran zweifeln, daß auch bei
der gegenwärtig brennend gewordenen Aufgabe, die Begriffsbildun-
gen der klassischen Physik zu erweitern, die mit der Gedankenwelt
arbeitende Forschungsmethode ihre Leistungsfáhigkeit erweisen
wird.
Freilich wird sie sich dabei zusehends immer weiter von dem ent-
fernen, was man gemeinhin Anschaulichkeit zu nennen pflegt. Man
macht gegenwärtig der theoretischen Physik häufig den Vorwurf,
daß sie durch ihre Wendung zum Abstrakt-Mathematisch-Formalen
den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verliere. Diese Kritik
ist ebenso unfruchtbar wie unberechtigt. Denn der Wert eines Ge-
dankens hängt nicht davon ab, ob er anschaulich ist, sondern davon,
was er leistet.
Nachdem es sich einmal herausgestellt hat, daß wir, um die Mes-
sungsergebnisse verstehen zu können, die anschaulichen Voraus-
setzungen der klassischen Physik aufgeben müssen, bleibt für die
theoretische Forschung gar kein anderer Weg übrig als zu neu-
artigen abstrakten Begriffsbildungen zu schreiten. Dieser Zug zur