Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft 127 
gewohnheitsmäßig tagtäglich üben, um uns in unserer Umgebung zu- 
rechtzufinden, und an der die Menschen von jeher gearbeitet haben, 
seitdem sie überhaupt zu denken anfingen, schon um sich im Kampf 
ums Dasein zu behaupten. Nicht nach der Qualität, sondern nur nach 
dem Grade der Feinheit und Vollständigkeit unterscheidet sich das 
wissenschaftliche von dem gewohnheitsmäßigen Denken, etwa ebenso, 
wie sich die Leistungen eines Mikroskops von den Leistungen des 
bloßen. Auges ‚unterscheiden. Daß das gar nicht anders sein kann, 
erhellt schon einfach daraus, daß es nur eine einzige Art von Logik 
gibt, daß also aus gegebenen Voraussetzungen die wissenschaftliche 
Logik nichts anderes ableiten kann als die des ungeschulten prakti- 
schen Verstandes. 
Wir werden daher auch für die Resultate, welche die Wissen- 
schaft bei dieser ihrer Arbeit erzielt hat, ein anschauliches Ver- 
ständnis dadurch gewinnen, daß wir an die Erfahrungen anknüpfen, 
welche uns aus dem Verlauf des ‚täglichen Lebens bekannt und ver- 
traut sind. Wenn wir an unsere eigene persönliche Entwicklung 
zurückdenken, und wenn wir überlegen, wohin wir allmählich im Lauf 
der Jahre in unserer Weltauffassung gelangt sind, so können wir 
sagen, daf) wir auf Grund der gesammelten Erfahrungen uns von der 
umgebenden Welt eine einheitliche Vorstellung, ein zusammenfassen- 
des praktisch brauchbares Bild zu machen suchen, daß wir uns die 
Umwelt denken als erfüllt von Gegenständen, die auf unsere ver- 
schiedenen Sinnesorgane einwirken und dadurch die verschieden- 
artigen Sinneseindrücke erzeugen. 
Dieses praktische Weltbild, das jeder von uns in sich trägt, be- 
sitzt aber, da es nicht unmittelbar gegeben, sondern auf Grund 
unserer Erlebnisse erst allmählich erarbeitet ist, keinen endgültigen 
Charakter, sondern es wandelt und korrigiert sich mit jeder neuen 
Erfahrung, die wir machen, von der Kindheit bis zum Erwachsenen- 
alter, in anfangs schnellerem, später langsamerem Tempo. Ganz 
das nämliche läßt sich behaupten von dem wissenschaftlichen Welt- 
bild. Auch das wissenschaftliche Weltbild oder die sogenannte 
phänomenologische Welt ist nichts Endgültiges, sondern ist in steter 
Wandlung und Verbesserung begriffen, es unterscheidet sich von 
dem praktischen Weltbild des täglichen Lebens nicht der Qualität 
nach, sondern nur durch seine feinere Struktur, es verhält sich zu 
diesem etwa wie das Weltbild des erwachsenen Menschen zum Welt- 
bild des kindlichen Menschen. Wir werden daher, um zu einem rich- 
tigen Verständnis des wissenschaftlichen Weltbildes zu gelangen, 
am besten verfahren, wenn wir uns zuerst einmal mit dem primitiv- 
sten, dem kindlich naiven Weltbild beschäftigen. 
Versetzen wir uns also einmal, so gut es geht, in die Seele und in 
die Gedankenwelt eines Kindes. Sobald das Kind zu denken anfüngt, 
  
  
  
 
	        
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