Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
138 Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft 
eigentümlichen Weise. Zuerst entfernt sich, wie wir sahen, die 
Wissenschaft bei der Arbeit an dem von ihr geschaffenen Weltbild 
auf der Suche nach dem metaphysisch Realen in fortschreitendem 
Maße von den Gegebenheiten und Interessen des Lebens, insofern 
sie immer unanschaulichere, immer einsamere Wege einschlägt. Aber 
gerade auf diesen Wegen, und nur durch sie, werden neue, sonst auf 
keine Weise vorauszusehende allgemeine gesetzliche Zusammen- 
hänge sichtbar, die nun wieder in das Leben zurückübersetzt und da- 
durch für menschliche Bedürfnisse nutzbar gemacht werden können. 
Das ist in unzähligen Einzelfällen zu beobachten. Auch hier hat 
sich eine weitgehende Arbeitsteilung aufs beste bewährt. Der erste 
Schritt, die aus dem Leben herausführende Ausgestaltung des Welt- 
bildes, ist Sache der reinen Wissenschaft, der zweite Schritt, die 
Verwertung des wissenschaftlichen Weltbildes für die Praxis, ist 
Aufgabe der Technik. Die eine Arbeit ist genau so wichtig wie die 
andere, und da jede von ihnen den ganzen Menschen in Anspruch 
nimmt, so ist der einzelne Forscher, wenn er sein Werk wirklich 
fördern will, genötigt, alle seine Kräfte auf einen einzigen Punkt zu 
konzentrieren und die Gedanken an andere Zusammenhänge und 
Interessen einstweilen beiseite zu lassen. Darum schelte man nicht 
allzusehr die Weltfremdheit des Gelehrten und seine Zurückhaltung 
gegenüber wichtigen Fragen des öffentlichen Lebens. Ohne solche 
einseitige Einstellung hätte weder Heinrich Hertz die draht- 
losen Wellen, noch Robert Koch den Tuberkelbazillus entdeckt. 
Diese Leistungen der rein wissenschaftlichen Forschung für das 
praktische Leben haben ihr Gegenstück in der von der Seite der 
Technik her der Wissenschaft zuflieBenden mannigfachen Anregung 
und verständnisvollen Förderung, die sich gerade gegenwärtig in 
stetig steigendem Maße geltend macht und deren Bedeutung nicht 
leicht hoch genug einzuschätzen ist. 
Ich kann es mir nicht versagen, hier beispielsweise auf einen erst 
in neuerer Zeit aufgetauchten eindrucksvollen Beleg für die manch- 
mal ganz unvermutet engen Beziehungen zwischen Wissenschaft und 
Technik noch etwas näher einzugehen. Die eigentümlichen Atom- 
umwandlungen haben jahrelang nur die Forscher der reinen Wissen- 
schaft beschäftigt. Wohl war die Größe der dabei in Erscheinung 
tretenden Energien auffallend, aber da die Atome so winzig klein 
sind, dachte man nicht ernstlich daran, daß sie einmal auch für die 
Praxis eine Bedeutung gewinnen könnten. Heute hat diese Frage 
durch neue auf dem Gebiet der künstlichen Radioaktivität gemachten 
Befunde eine überraschende Wendung genommen. Durch die Unter- 
suchungen von Otto Hahn und seinen Mitarbeitern ist festgestellt ' 
worden, daß bei der Aufspaltung, welche ein Uranatom erleidet, 
wenn es von einem Neutron beschossen wird, zwei bis drei Neutronen
	        
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