Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
   
  
  
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Die Physik im Kampf um die Weltanschauung 
abgeben kann? Offenbar bleibt nichts übrig als die allerdings sehr 
naheliegende radikale Annahme, daß die elementaren Begriffe der 
klassischen Physik in der Atomphysik nicht mehr ausreichen. 
Die klassische Physik ist ja aufgebaut auf der Voraussetzung, daß 
die physikalische Gesetzmäßigkeit sich am vollständigsten offenbart 
im unendlich Kleinen. Denn nach ihr ist der Ablauf des physikali- 
schen Geschehens an irgendeiner Stelle der Welt vollständig be- 
stimmt durch den Zustand an der betreffenden Stelle und in ihrer 
unmittelbaren Nachbarschaft. Demgemäß besitzen alle physikalischen 
Zustandsgrößen: Lage, Geschwindigkeit, elektrische und magnetische 
Feldstärke usw. einen rein lokalen Charakter, und die zwischen ihnen 
geltenden Gesetze werden vollständig dargestellt durch raumzeitliche 
Differentialgleichungen zwischen diesen Größen. Damit kommt man 
aber offenbar in der Atomphysik nicht aus; also müssen die obigen 
Begriffe ergänzt bzw. verallgemeinert werden. Aber in welcher Rich- 
tung? Eine gewisse Andeutung scheint mir in der neuerdings immer 
deutlicher zutage tretenden Erkenntnis zu liegen, daß die raumzeit- 
lichen Differentialgleichungen, auch die der Wellenmechanik, für 
sich allein noch nicht den vollen Inhalt der für die Vorgänge in einem 
physikalischen Gebilde gültigen Gesetzlichkeit erschöpfen, sondern 
daß dazu immer noch die Berücksichtigung auch der Randbedingun- 
gen für das betrachtete Gebilde gehört. Der Rand aber ist immer 
von endlicher Ausdehnung, sein unmittelbares Hereinspielen in den 
Kausalzusammenhang bedeutet also ein neuartiges, der klassischen 
Physik fremdes Element der kausalen Betrachtung. 
Ob und wie weit man auf diesem Wege einmal weiterkommen 
wird, muß die zukünftige Forschung lehren. Wie dem immerhin sein 
mag, und welche Ergebnisse dereinst einmal ans Tageslicht kommen 
werden, eins läßt sich auf alle Fälle mit voller Sicherheit behaupten: 
von einer restlosen Erfassung der realen Welt wird ebensowenig 
jemals die Rede-sein können wie von einer Erhebung der mensch- 
lichen Intelligenz bis in die Sphäre des idealen Geistes. Das sind 
und bleiben eben Abstraktionen, die begriffsmäßig außerhalb der 
Wirklichkeit liegen. Wohl aber hindert nichts an der Annahme, daß 
wir uns dem unerreichbaren Ziele fortdauernd und unbegrenzt an- 
nähern können, und dieser Aufgabe zu dienen, in-der einmal als aus- 
sichtsreich erkannten Richtung dauernd vorwärts zu kommen, ist 
gerade der Sinn der unablässig tätigen, sich immer aufs neue korri- 
gierenden und verfeinernden wissenschaftlichen Arbeit. Daß es sich 
dabei wirklich um ein Fortschreiten, nicht etwa nur um ein zielloses 
Hin- und Herpendeln handelt, wird dadurch bewiesen, daß wir von 
jeder neu gewonnenen Erkenntnisstufe aus alle vorherigen Stufen 
vollständig überschauen können, während der Blick auf die vor uns 
liegenden noch verhüllt ist, ähnlich wie ein zu neuen Höhen empor- 
    
  
  
  
   
 
	        
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