18 H. Helmholtz
erzeugt wird. Von diesen Vorgängen wissen die bisherigen
theoretischen Betrachtungen, welche nur die zu entwickelnde
Wärme als das Maass für den Arbeitswerth der chemischen
Verwandtschaftskräfte betrachten, keine genügende Rechen-
schaft zu geben*). Sie erscheinen vielmehr als Vorgänge,
23 w elche gegen die Verwandtschaftskräfte zu Stande kommen.
Der Hauptsache nach ist die ältere Ansicht, die ich selbst in
meinen früheren Schriften vertreten habe, allerdings gerecht-
fertigt. Es ist keine Frage, dass namentlich in den Fällen,
wo die mächtigeren Verwandtschaftskräfte wirken, die stärkere
Wärmeentwicklung mit der grösseren Verwandtschaft zusammen-
fällt, soweit letztere durch die Entstehung und Lösung der
chemischen Verbindungen zu erkennen ist. Aber beide fallen
doch nicht in allen Fällen zusammen. Wenn. wir nun be-
denken, dass die chemischen pon nicht blos Wärme, son-
dern auch andere Formen der Energie hervorbringen können,
letzteres sogar ohne dass irgend eine der Grösse der Leistung
entsprechende Aenderung der Temperatur in den zusammen-
wirkenden Körpern einzutreten braucht, wie z. B. bei den
Arbeitsleistungen der galvanischen Batterien: so scheint es
mir nicht fraglich, dass auch bei den chemischen Vorgängen
die Scheidung zwischen dem freier Verwandlung in andere
Arbeitsformen fähigen Theile ihrer Verwandtschaftskräfte ud
dem nur als Wärme erzeugbaren Theile vorgenommen werde
muss. Ich werde mir erlauben, diese beiden "Theile des
Energie im Folgenden kurzweg als die freie und die ge-
bundene Energie zu bezeichnen. Wir werden später sehen,
dass die aus dem Ruhezustande und bei konstant gehaltener
gleichmissiger Temper ratur des Systems von selbst eintretenden
und ohne Hilfe einer äusseren Arbeitskraft fortgehenden Pro-
zesse nur in solcher Richtung vor sich gehen können, dass die
freie Energie abnimmt. In diese Kategorie werden auch die
bei konstant erhaltener Temperatur von selbst eintretenden
und fortschreitenden chemischen Prozesse zu rechnen sein.
Unter Voraussetzung unbeschränkter Gültigkeit des Clausius-
schen Gesetzes würden es also die Werthe der freien Energie,
nicht die der durch Wärmeentwicklung sich kundgebenden ge-
sammten Energie sein, die darüber entscheiden, in welchem
Sinne die. chemische Verwandtschaft thätig werden kann.
*) Siehe B. Rathke über die Prineipien der Thermochemie in
Abhandl. d. Naturforseh. Ges. zu Halle, Bd. XV.