Wenn man nun aber nur Brückenwaagen zur Ver-
fügung hat und wenn jede Aussicht fehlt, sich feinere
Waagen zu verschaffen? Ist es dann nicht ratsamer,
‚auf den Versuch genauer Wägungen grundsätzlich zu
verzichten und die Frage nach den einzelnen Milligrammen
für sinnlos zu erklären, als einer Aufgabe nachzuspüren,
die durch direkte Messungen gar nicht gelöst werden
kann? Wer so spricht, der unterschätzt die Bedeutung
der Theorie. Denn die Theorie führt uns in gewisser von
vornherein gar nicht absehbarer Weise über die direkten
Messungen hinaus, vermittelst der sogenannten Ge-
dankenexperimente, die uns weitgehend unabhängig
machen von den Mängeln der wirklichen Instrumente.
Nichts ist verkehrter als die Behauptung, ein Ge-
dankenexperiment besitze nur insofern Bedeutung, als
es jederzeit durch Messung verwirklicht werden kann.
Wenn das richtig wäre, so würde es z. B. keinen exakten
geometrischen Beweis geben. Denn jeder Strich, den
man auf dem Papier ziehen kann, ist in Wirklichkeit
keine Linie, sondern ein mehr oder weniger schmaler
Streifen, und jeder gezeichnete Punkt ist in Wirklich-
keit ein kleinerer oder größerer Fleck. Trotzdem zweifeln
wir nicht an der strengen Beweiskraft geometrischer
Konstruktionen.
Mit dem Gedankenexperiment erhebt sich der Geist
des Forschers über die Welt der wirklichen Meßwerk-
zeuge hinaus, sie verhelfen ihm zur Bildung von Hypo-
thesen und zur Formulierung von Fragen, deren Prüfung
durch wirkliche Experimente ihm den Einblick in neue
gesetzliche Zusammenhänge eröffnet, auch in solche Zu-
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