112 Ferdinand von Lesſeps.
Angriff auf die britiſche Weltmachtstellung in Indien sein sollte, ließ der
hochfliegende Geist des jungen Generals durch den mitgenommenen tüchtigen
Ingenieur Lepère abermals Studien vornehmen, ob die Schaffung eines
Kanals zwiſchen dem Mittelländiſchen und dem Roten Meer möglich sei.
Lepères Denkschrift über diese Frage war es nun, die dem 27 jährigen
Ferdinand von Lesſſeps 1832 bei seiner Ankunft in Alexandria in die Hände
fiel, als er einen Monat untätig im Lazarett verbringen mußte. Der Ge-
danke von dem ungeheuren Wert eines den Isthmus von Suez durchbrechen-
den Kanals leuchtete dem jungen französſiſchen Diplomaten vollkommen
ein; dennoch dauerte es noch rund ein Vierteljahrhundert, ehe das ge-
pflanzte Samenkorn wirklich zu keimen begann. Die Hauptſchuld daran,
daß der Gedanke des Suezkanals, nachdem er von Bonaparte angeregt
worden war, noch ſieben Jahrzehnte bis zu seiner Verwirklichung brauchte,
trug zweifellos Lepère selbst, der in seiner Untersuchung zu dem Resultat
gekommen war, daß ein die beiden Meere verbindender Kanal techniſch nicht
ausführbar sein werde. Er war zu dieser falſchen Überzeugung gelangt,
weil er irrigerweiſe ausgerechnet hatte, daß der Spiegel des Roten Meeres
9,908 m über dem des Mittelmeeres liege, und weil er aus dieser falſchen
Voraussetzung den richtigen Schluß zog, daß unter solchen Umſständen die
Herstellung eines Niveaukanals nicht möglich sein werde. Der Irrtum
Lepères wurde erst 1841 durch engliſche Ingenieure nachgewieſen. Bis
zu dieſem Zeitpunkt konnte daher der Gedanke eines Kanals durch die
Landenge von Suez nirgends Wurzel faſſen, und auch Leſſeps beschäftigte
ſich zunächst durchaus noch nicht ernstlich mit dem für unausführbar gehal-
tenen Problem.
Vielmehr nahmen ihn zunächst ganz andere Dinge in Anspruch: dienſt-
liche Arbeiten und gesellige Vergnügungen in willkommenem Wechsel.
Sein Leben und Wirken in Alexandria war das denkbar angenehmſte.
Sein Chef, der Generalkonſul Mimaut, dem Leſseps zeitlebens mit inniger
Dankbarkeit und Zuneigung anhing, war ihm mehr als ein wohlwollender
Vorgeſetter, war ihm ein rechter väterlicher Freund, und auch der Vize-
könig Mehemed Ali übertrug die dankbare Gesinnung, die er gegen Ferdi-
nands Vater empfand, auf deſſen jungen Sohn und unterstützte ihn, wo er
nur konnte. In Gegenwart ſeines Hofes ſagte der ſchon damals sehr mächtige
und angeſehene Vizekönig, der ſpätere Sieger von Niſib (24. Juni 1839),
den man nicht mit Unrecht einen ins Orientaliſche übertragenen Friedrich
den Großen genannt hat, zu dem jungen Lesſeps: „Dein Vater war es, der
mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Denke daran, daß du immerdar auf