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Ferdinand von Lesseps.
nur die Kraft zu einem noch ungleich glänzenderen Flug. Die ersten Jahre
der Muße, die er vollständig seiner Familie und ihren Angelegenheiten wid-
mete, waren sehr glücklich. Jm Herbst 1850 besuchte er, begleitet von seiner
Frau und seinem ältesten Sohn Charles, seine betagte Mutter im Schloß
Kinkenpois bei Lüttich, wo ſie den Sommer bei ihrem Vetter Ferdinand
Desoer, einem Paten unseres (nach ihm Ferdinand genannten) Helden,
verlebte. Es ſchloß sich eine eindruckreiche Rheinreise an, die schließlich über
Straßburg nach der Schweiz führte. Das letzte Jahr diescs bis dahin so
glücklichen Familienlebens, 1853, wurde aber ein Unglücksjahr für Ferdinand
de Lesſſeps, ein Jahr tiefster, ſchmerzlichſter Trauer. In einer geradezu
erschütternden Weise häuften sich für ihn die herbsten Schicksalsschläge.
Zunächst starb am 27. Januar seine teure, von ihm hochverehrte Mutter
in ihrem Pariſer Heim nach langer Krankheit, drei Tage vor der sensationellen
Heirat ihrer Großnichte, der Gräfin Eugenie v. Theba, mit dem Kaiser der
Franzoſen, Napoleon III. So ſchmerzlich der Verluſt für Ferdinand
de Leſſeps war, ſo war doch dieser Todesfall nicht nur seit langer Zeit er-
wartet, sondern auch dem Naturgesſet; durchaus entsprechend. Um so un-
vermuteter und grauſamer aber wirkte auf Lesſſeps der plötzliche Tod seiner
jungen, heißgeliebten Frau, die am 13. Juli, erſt 34 Jahr alt, nach fünf-
tägigem Krankenlager am Scharlach starb. Diesem furchtbaren Unglück,
an dem u. a. auch die Kaiſerin Eugenie den innigsten Anteil nahm, folgte
wenige Tage später ein nicht viel weniger schweres: sein Söhnchen Ferdi-
nand Marie Victor, das mit der Mutter zuſammen am Scharlach erkrankt
war, folgte ihr am 28. Juli in den Tod, und viel hätte nicht gefehlt, daß auch
noch der jüngste Sohn, Aimé Victor, der tückiſchen Krankhert erlegen wäre.
Nach dieser doppelten Katastrophe konnte ſich Leſſeps nicht entſ chließen,
noch länger in Paris zu weilen; er zog ſich nach dem kleinen Orte La Chénaie
zurück und weilte hier zunächst über ein Jahr, in regem Verkehr mit seiner
trefflichen Schwiegermutter, die ihm und seinen beiden überlebenden Söhnen
die Verstorbene nach Möglichkeit zu erseßen suchte. Was ihn aus seinem
tiefen Schmerze schließlich ſich emporraffen ließ, was ihm neuen Lebensmut
und neue Arbeitsfreude gab, das war die ſich plötzlich eröffnende Aussicht,
den Gedanken zu verwirklichen, der ihn seit mehr als 20 Jahren niemals
ganz verlaſſen hatte: die Durchſtechung des Isthmus von Suez.
Dieses Problem hatte seit den Quarantänetagen von Alexandria immer
aufs neue seinen Geist in Anspruch genommen. Alles auf die Frage be-
zügliche Material, das er in mehr als 20 Jahren allmählich gesammelt hatte,
ſtellte er in den Jahren seiner Muße zu einer Denkschrift zuſammen, die er