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deutlicher Weiſe vom Waſserſtand der großen Ströme Nil und Euphrat
abhing, hatte man bereits Staubecken geſchaffen, die alles Ähnliche, was
wir zurzeit in Europa besitzen, unendlich weit hinter ſich laſſen. Der faſt
ſagenhafte, berühmte Möris-See, der wahrſcheinlich im Westen des heutigen
Medinet-eléFayum lag, muß, den vorhandenen Berichten nach, etwa
3 Milliarden Kubikmeter gefaßt haben, während die größte, gegenwärtig
in Europa fertiggestellte Talſperre, die von Mauer am Bober, nur 50 Millli-
onen Kubikmeter, die größte im Bau befindliche mitteleuropäische, die
Edertalſperre, 202 Millionen Kubikmeter Wasser aufzunehmen vermag. Auch
die Aſſyrer müssen einen ähnlich großen Stauſee wie den Möris-See beſesſſen
haben, denn es heißt, daß ihr im Euphrat angelegter Nitokris-See, der
einem großen Teil des wunderbar sorgfältig angelegten Bewässerungskanal-
ſyſtems im Zweistromland in Zeiten der Trockenheit die befruchtende
Flüſſigkeit zuführte, eine Waſssermasse enthalten habe, wie sie die Fluten
des Euphrat erſt in 22 Tagen heranzuwälzen vermochten. Auch die alten
Inder und Chinesen kannten bereits die Kunst des Talſperrenbaus.
Doch nicht nur das graue Altertum, deſſen Ingenieurkunsſt in ſo mannig-
facher Hinſicht unsre höchſte Bewunderung wecken muß, kannte Talſperren
größten Maßſtabes, ſondern auch in der Neuzeit ſind ſchon Jahrhunderte
vor Intze einige recht bedeutſame Staubeckenanlagen in Europa geschaffen
worden, in Italien und in Spanien, vereinzelt auch im Harz, ſchon seit
dem 16. Jahrhundert, darunter eine, die noch bis auf die Gegenwart von
den fertiggestellten Talſperren Europas nicht übertroffen worden ist: die
Sperre von Puentes in Spanien, die in den Jahren 1785 bis 1791
hergeſtelltt wurde und volle 53 Millionen Kubikmeter Wasſer faßte, bis
am 30. April 1802 ein Bruch der abſchließenden Sperrmauer erfolgte
und zu einer furchtbar verheerenden Überſchwemmungskatastrophe Ver-
anlaſſung gab.
Die modernen Bestrebungen zur Schaffung von Talsperren nach
neueren Gesichtspunkten begannen gleichfalls bereits um die Mitte des
19. Jahrhunderts, und zwar in Frankreich. Als erste Talſperre entſtand
hier die Sperre von St. Etienne im Fluſſe Furens, einem Nebenfluß
der Loire. In Deutſchland fand die Bewegung jedoch noch Jahrzehnte
hindurch keinen Widerhall, wenn auch bereits im Jahre 1856 ein Stauſece-
projekt allergrößten Stils an ein wenigstens teilweiſe deutſches Gewäſser,
den Bodensee, anknüpfte. Kein andrer als Kaiſer Napoleon III., der
einen ungemein großzügigen techniſchen Blick und eine hervorragende
Veranlagung zum Ingenieur besaß (wie bereits an verſchiedenen Stellen