Full text: Die Kunst der Römer (1,2)

RÖMISCHE KUNST 
An jener Stelle, wo später R om sein stolzes Haupt über die Welt erhob, stand 
in früher Vorzeit nur ein bescheidener Hof, befand sich nur eine Feuer: und Wasser: 
stelle, die jenen Reisenden diente, welche aus dem südlichen Etrurien durch eine 
Tiberfurt auf direktem Wege nach dem Süden wollten, statt den Weg am Rande der 
Berge zu benutzen. Jene Herberge ist das Urbild der späteren Regia, welche ihren 
alten Grundriß und ihre alte Richtung an der heiligen Straße zum Forum bewahrt 
hat und welche in ihrer kultischen Bestimmung als Amtshaus des Priesterkönigs 
und als Aufbewahrungsort heiliger Geräte die Erinnerung bewahrt hat an jene Zeit, 
da noch das ganze Leben kultisch gelebt wurde. Jene Feuerstelle ist der Tempel der 
Vesta, in welchem das Feuer gehütet wurde, das zu entzünden ehemals so mühsam 
war. Auch dieser Bau hat in seiner runden Gestalt eine vorgeschichtliche Form be- 
wahrt; er brannte häufig nieder, weil er bis zum Beginn der Kaiserzeit immer wieder 
aus dem vorgeschichtlichen Baustoff Holz und Schilf errichtet wurde. Die Pflege des 
Feuers war den Mägden anvertraut, welche nebenan in einem Frauenhause wohnten, 
dem Urbild des Atrium Vestae. Jene Wasserstelle schließlich ist der Quell der 
Juturna, der hinter dem Vesta-/Tempel am Fuß des Palatins entspringt; hier hatte 
noch im spätantiken Rom der Curator aquarum, dem die Aufsicht über die 
städtische Wasserversorgung unterstellt war, seinen Amtssitz. Wo jedoch ursprüng- 
lich die Tiberfurt war, wurde später die erste Brücke gebaut, der schicksalsvolle 
Pons Milvius. 
Es wird zu jener Zeit gewesen sein, als sich die Griechen zum erstenmal am Fest 
des olympischen Zeus zu Wettspielen zusammenfanden, da hatten sich auf den Tuff- 
hügeln, welche um die alte Wohnstatt an der sumpfigen Tiberniederung lagen, Hirten 
und Bauern angesiedelt. Sie gehörten verschiedenen Stämmen an. Die einen ver- 
brannten ihre Toten am Fuße des Kapitolinischen Hügels, wo später das Vulcanal 
die vorgeschichtliche Stelle der Leichenverbrennung bezeichnete. Hier, wo Caesar 
die Rednerbühne, die berühmten Rostra errichtete, mögen in römischer Vorzeit die 
ersten Leichenreden erklungen sein. Die Angehórigen des anderen Stammes be- 
statteten ihre Toten unverbrannt, eine Sitte, an der das Geschlecht der Scipionen 
ebenso unverbrüchlich festgehalten hat, wie andere rómische Geschlechter an der 
Sitte der Verbrennung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Verschiedenheit dieses 
Brauches in historischer Zeit auf eine Verschiedenheit der Stammeszugehörigkeit 
in prähistorischer Zeit zurückgeht. Bestattungsreste beider Stämme fanden sich am 
Abhang der Hügel um das Forum. Dieses selbst wurde allmählich der natürliche 
Handels: und Versammlungsplatz der Volksgemeinde, nachdem sich die dorflichen 
Siedlungen zur Stadt zusammengesclilossen hatten und nachdem der Sumpf durch 
Fassung, spáter durch Überwólbung des Baches, der bekannten Cloaca maxima, 
trockengelegt worden war. 
Unter allen besiedelten Hügeln war der Palatin ausgezeichnet durch seine freie 
Lage über dem Fluß, durch die Nähe zur alten Wohnstatt, vor allem aber durch die 
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