Full text: Die Kunst der Römer (1,2)

  
  
Kopf aus Griechenland (Abb. 89), der heute in Boston aufbewahrt wird, um das 
ganz ermessen zu können. Ist beim Augustus von Primaporta alles hart, unnahbar, 
undurchdringlich, Idee und Programm, so ist hier alles göttliche Bewegung, Lieblichz 
keit und Anmut; blühend der feste Mund und die Wangen, tráumend der Blick und 
lockig das Haar. Den Griechen wurde das Bild des Augustus wirklich zum Bild 
eines Gottes. 
Indessen blieben Enttáuschungen nicht aus. Wohl war dem Augustus-Frieden 
ein Altar geweiht. Aber die Befriedung Germaniens mufite aufgegeben werden. 
Wohl feierte man die Fortuna Augusta, den Genius Augusti. Aber Augustus sah 
keinen leiblichen Erben, und die Kinder seiner Schwester und seine eigenen Enkel 
starben früh. Entsagung zeichnet sich in die Züge des Erhabenen. Ein Bronzekopf 
in der vatikanischen Bibliothek (Abb. 90) läßt erkennen, daß die Zeit micht spurlos 
an ihm vorübergegangen ist, obwohl auch dieses Porträt keine Altersmerkmale auf- 
weist. Knapp und fest, auf das Notwendige reduziert, sind die Formen. Kein starkes 
Relief, keine zart atmende Haut wie beim griechischen Augustus; fast abstrakt sind 
die Flächen des Gesichtes, wölbt sich die Kalotte des Schädels. Etwa gleichzeitig 
ist der Togatus in Neapel (Abb. 55—56), welcher in der Entwicklungsreihe der spät- 
republikanischen Porträts betrachtet wurde. Der Prozeß der Entmaterialisierung 
und der Charakter formaler Abstraktion ist bei ihm noch stärker und gewaltsamer 
durchgeführt als beim Porträt des Augustus. Er gehört der Volkskunst an und 
stellt auch einen Mann des Volkes dar. Das Bronzeporträt des Augustus ist viel 
leicht von einem Griechen geschaffene Hofkunst und zeigt den Typus des neuen 
Herrschers. Die Grundform ist jedoch bei beiden dieselbe, und die stilistische 
Gleichzeitigkeit ist unverkennbar. Gemeinsam ist ihnen die Bindung an dieselbe 
Zeit. Verschieden ist nur die soziale und geistige Stellung in der politischen Welt. 
In der klassischen Zeit der griechischen Kunst konnte es diesen Gegensatz nicht 
geben, und nur die Komödie und Karikatur erlaubte Volkstypen; im Hellenismus 
sind die Charaktertypen aus dem Volke, sofern sie nicht auch der Posse dienen, 
Genrefiguren einer idyllischen Welt. Erst in der juristisch organisierten Welt gibt 
es eine Hierarchie der sozialen und politischen Stellung, und deshalb entsteht erst 
in der römischen Kunst ein Gegensatz von Volks: und Hofkunst. Der Klassizismus 
des Reichsstils sucht zwar diesen Gegensatz immer wieder auszugleichen; im Grunde 
besteht er trotzdem und auf die Dauer macht er sich immer wieder geltend. Als 
Naturalismus und Klassizismus, als Verismus und Illusionismus bildet dieser Gegen: 
satz das innere Spannungsverhiltnis in Struktur und Stilwandel der rómischen Kunst. 
Der einsame Augustus durfte nicht altern. Die Ideologie des Staates erlaubte 
es nicht. Sein Bildnis wurde immer zeitloser und vergeistigter, immer zarter und 
durchsichtiger; älter wurde es nicht. Kaum merklich sind Stirnfalten, Fältchen in 
den Augenwinkeln und Falten der schlaffer werdenden Haut am Halse auf einem 
Reliefbildnis in Berlin (Abb. 91) angegeben; sie sind ganz leicht in die kühle Marmor- 
haut geritzt. Rein und fern erscheint hier Augustus, und doch ist jeder Zug, jede 
Linie klar und bestimmt. 
  
  
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