Full text: Die Kunst der Römer (1,2)

  
  
  
  
unbeholfen. Bedeutete die römische Kunst schon gegenüber der griechischen eine 
starke Reduktion der Körperlichkeit zugunsten der Linie, so ist diese Tendenz auf 
den provinziellen Reliefs noch sehr viel stärker. Der organische Zusammenhang der 
Körperteile ist den Steinmetzen nicht bekannt, ist ihnen vielleicht gar kein Problem. 
Nur die Sprache der Gebärden ist wichtig. Das gibt den bescheidenen Bildwerken 
eine unerhörte Kraft der Aussage. Auch der räumliche Zusammenhang ist nicht 
erkennbar gemacht. Vielmehr scheinen die Figuren aus dem Wesenlosen aufzu- 
tauchen (Abb. 152—153). Da die Formen der Körper nur in großen Zügen angedeutet 
sind und die eigentliche Wirkung der Bilderscheinung den ausdrucksvollen Gebärden 
überlassen bleibt, so ist die Phantasie des Betrachters angeregt, nach den Zusammen: 
hängen und Bedeutungen zu forschen. Die Eigenart dieser primitiven Soldatenkunst 
liegt daher in derselben Richtung wie die der stadtrömischen Kunst. Sie ist durch 
ihre Primitivität nur viel radikaler in der Vernichtung klassischer Körperformen 
und in der bloß noch gedanklichen Erfassung von Figuren und Vorgängen. Am 
wenigsten sind davon betroffen die Reliefs gefesselter Barbaren (Abb. 154—155), 
welche auf den Zinnen des Denkmals angebracht sind, da sie eine Ahnenreihe bez 
sitzen, welche sich bis zu den Barbarentypen des Hellenismus zurückverfolgen läßt. 
Sie tragen ausgeprägte Charakterköpfe und illustrieren vorzüglich die Stammestypen 
der germanischen Gegner der Römer. Wie das Eichenlaub der Bäume, an welchen 
sie angebunden sind, kerbschnittartig und flächig wiedergegeben ist, das verrät 
wiederum das Unstoffliche und Abstrakte dieser Kunstrichtung. Es wird hier zum 
ersten Male erschreckend deutlich, daß die stilgeschichtliche Entwicklung der 
  
150. Römisches Hoheitszeichen vom Trajans-Forum. Rom, Ss. Apostoli 
190
	        
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