Full text: Die Kunst der Römer (1,2)

  
192. Paris-Urteil, Sarkophagrelief. Rom, Villa Medici 
menschlichen Geschehen spricht sich in diesem Wandel aus. Man kann zum Beispiel 
feststellen, daß es in den Kampfbildern der Markus-Säule keinen gleichberechtigten 
Gegner mehr gibt (Abb. 185), wie das auf der Trajans-Säule in Nachwirkung der 
griechischen Haltung noch vorkommt. Die römische Triumphalidee hat sich durch- 
gesetzt und verlangt die Sichtbarmachung des siegreichen Imperiums in einer fast 
£rausamen Form, welche nur dadurch erträglich ist, daß sie ja nicht buchstäblich, 
sondern allegorisch gemeint ist. Dabei ist der Realismus jetzt viel größer als auf 
der Trajans-Säule, wo noch griechische Barbarentypen vorkommen (Abb. 138). Jetzt 
sind die Fremdvölker ganz neu gesehen (Abb. 188—189): mit der unheimlichen Wild: 
heit ihrer Haare und Bärte, mit dem verzehrenden Feuer ihrer Augen, in der Qual 
ihrer Unterwerfung. Aber es ist doch unverkennbar, daß diese Wendung zur Reali- 
tät keinen platten Naturalismus verursacht. Im Gegenteil kann die Stilabsicht, 
welche wir mit Entkörperlichung und Vergeistigung bestimmt haben, sich viel freier 
und unbedingter an dem noch nicht vorgeformten Stoff entfalten. 
Man würde ein großes und schönes Kapitel der römischen Kunstgeschichte aus- 
lassen, wenn man nicht von den Sark ophagen spriche. Sie sind von den Künste 
lern des Mittelalters und der Neuzeit immer wieder studiert und gezeichnet worden. 
Sie gehóren noch heute zu dem lebendigsten Gut des Altertums in Rom. Jeder hat 
sie gesehen in den Hófen rómischer Paläste und in den Gärten römischer Villen, 
hingestellt als sichtbares Zeichen der Verbundenheit mit der Geschichte römischer 
Ahnen, eingemauert zum Schmuck der Wände, wiederverwendet als Behälter von 
Pflanzen, meistens aber angefüllt mit dem herrlichen römischen Wasser, das seit 
dem Altertum nicht aufgehört hat zu fließen: 
  
  
  
  
  
  
  
  
„Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt, 
grüß ich, antikische Sarkophage, 
die das fröhliche Wasser römischer Tage 
als ein wandelndes Lied durchfließt.“ 
(R. M. Rilke, Sonette an Orpheus 10.) 
 
	        
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