Ein tiefgreifender religiöser Sinneswandel muß im Zeitalter des Hadrian die
Menschen in Rom erfaßt haben, daß sie anfingen, ihre Toten unverbrannt zu be-
statten. Vielleicht ist es der Einfluß von Gedanken und Vorstellungen aus dem
griechischen Osten gewesen. Denn dort, in Kleinasien, war der Gebrauch von
Sarkophagen seit Jahrhunderten üblich. Rom übernimmt eine ostgriechische Kunst-
form, bildet sie aber bald gründlich um. Griechische Sarkophage sind tektonisch
gebaut, die Wände ringsum: mit Säulen gegliedert, der Deckel als Dach gebildet.
Oder der Sarkophag ist als Ruhebett, als Kline ausgestaltet und obenauf ruht die
Figur des Entschlafenen, eine Form also, die wir schon in Etrurien angetroffen haben
(Abb. 15—19). Sind die Wände mit Reliefs überzogen, dann sitzen die Bilder in einem
tektonisch gefaßten Rahmen. Immer jedoch hat der griechische Sarkophag eine
vollkommen durchgebildete tektonische Form, immer ist er ein in sich abgeschlosse-
nes plastisches Gebilde, vergleichbar den anderen Werken griechischer Kunst.
In Rom erfährt nun der griechische Sarkophag dieselbe Veränderung, die schon
früher der griechische Tempel und das griechische Standbild durchgemacht haben.
Er wird nur auf eine Schauseite hin gearbeitet. Er wird also ein Stück Dekoration.
Und die dekorative Schauseite wird nun vollständig mit Figur überzogen, von einer
Seite zur anderen, von unten nach oben. Es bleibt kein begrenzender Rand, kein
bildhaft gliedernder Rahmen. Aus dem Wesenlosen tauchen die Figuren auf, sind
plôtzlich da zu flüchtigem Verweilen und entschwinden wieder ins Wesenlose. Für
kurze Zeit nur-hat das Licht der Fackeln und Ollámpchen die Gestaltenfülle zur
Sichtbarkeit erweckt. Unruhig geistern sie dahin, dicht gedrängt, ohne Bewegungs-
raum für die Körper, ohne gemeinsamen Boden für alle. Die helle Schönheit grie-
chischer Bildformen wird verdunkelt. Die Bildteile werden zusammengeschoben
und in eine Welt versetzt, wo düster rauschender Prunk grell aufscheint und jäh
verschwindet.
Ein bacchischer Sarkophag im Konservatoren-Palast (Abb. 190) wird noch unter
Marc Aurel entstanden sein. Noch ist das Bildfeld nicht höher als die Figuren und
noch sind alle Glieder und alle Bewegungen in ihrem Zusammenhang sichtbar und
verständlich. Aber schon bedrängen dunkle Schatten, undeutliche Hintergründe den
lichten Zug trunkener Leiber.
Ein Sarkophag in der Villa Medici (Abb. 192) gehört in die Zeit des Commodus.
Dargestellt ist das Paris-Urteil. Aber nur mit Mühe vermôgen wir das Bild zu ent-
ratseln, konnen wir den schönen Hirten mit seiner Herde und die streitenden Gôt-
tinnen in dem stürmischen Wirbel gottlicher Gestalten finden. Himmel und Erde,
Menschen, Tiere und Gôtter sind aufgeboten. Eine wahrhaft barocke Vermischung
von Zeit und Raum.
Schließlich ein Sarkophag, der heute eingemauert ist in dem Kasino der Villa
Doria Pamfili (Abb. 191): Kämpfe von Römern und Barbaren um eine Stadt, zu beiden
Seiten Tropaia mit Gefangenen. Ein unentwirrbarer Knäuel von streitenden, stür-
zenden Menschen, aus dem in der Mitte die triumphierende Gestalt des römischen
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