In der Bildkunst erfolgte die Erneuerung durch einen starken Einstrom von
der Volkskunst her. Das Derbe und Drastische der Reliefs am Konstantinsbogen ist
um so erstaunlicher, als es sich dabei um einen bedeutsamen Staatsauftrag handelte.
Nicht verwunderlich dagegen ist es, wenn die anspruchslosen Malereien in den
christlichen Begräbnisstätten, den Katakomben, eine rohe Unbefangenheit der For-
mensprache besitzen. Für Christen wurden die neuen Sagen und Legenden auf
Wänden und Sarkophagen abgebildet. Wohl war ihr Heilswert und ihr paradig-
matischer Charakter wichtig, aber in der Darstellung waren die Personen der Hand:
lung keine fernen Vorbilder, sondern Menschen gleicher Zeit und gleicher Lebens:
stellung. Selbst Denkbilder wie der Gute Hirte werden im Zeitkostüm gegeben. Ein
Katakombenbild in Neapel (Taf. V) gibt ihn ohne jede Idealisierung in Tracht
und Gebärde: auf seinen Stock gestützt steht er inmitten von Herde und Bàumen.
Wirklichkeitsgetreu ist der Schulterkragen über dem kurzen Leibrock, der mit den
heidnischen Heilszeichen des Hakenkreuzes verziert ist, und sind die gestreiften
Strümpfe gegeben. Kein einsamer Weiser, kein lesender Philosoph gibt der Szene
eine allegorische Bedeutung. Es ist ein Bild der Wirklichkeit, dessen tieferer Sinn
sich erst aus dem Zusammenhang mit seiner Umgebung erschließen läßt. Man konnte
höchstens in der Art des Blickes und der Kopfhaltung etwas von dem überwirk-
lichen Sinn des Bildes erkennen; denn der Hirte schaut weltabgewandt, fragend
ins Wesenlose.
Der Blick der Menschen hatte schon auf Bildnissen vom Anfang des dritten
Jahrhunderts etwas Suchendes. Damals schien er mehr aus einer hilflosen und ge-
quälten Seele hervorzubrechen, schien die Ungewißheit allen Seins, die Nichtigkeit
des Irdischen zu der verzweifelten Brutalität der Züge den suchenden Ausdruck der
Augen zu fügen. Jetzt scheint es so, als ob die Heilsgewißheit die Menschen ruhiger
mache. Das ist nirgends so gewaltig zum Ausdruck gekommen als bei dem Kolossal
kopf des Konstantin, der zu einem Sitzbild in der Maxentius-Basilika gehörte und
heute im Hof des KonservatorenzPalastes steht (Abb. 243—244). Die großen Flächen
der Wangen, die máchtige Nase, das aufgeworfene Kinn werden beherrscht von den
Augen, welche unnatürlich rund und unbeweglich über alles Irdische hinweg in den
Himmel blicken. Freilich handelt es sich um ein überlebensgrof*es Werk, bei dem alles
vergrößert und vergröbert ist. Und es handelt sich vor allem um ein Herrscherbildnis,
bei dem alles nur Persönliche unterdrückt und alles allzu Menschliche aufgehoben
ist. Aber die Grundstimmung ist dieselbe wie bei den bescheidenen Werken der
Volkskunst. Es ist das notwendige Gegenstück zu ihnen. Sie hätten ohne dieses, sie
überragende Bild keinen Bezug zur großen geschichtlichen Kunst. Es zeigt, daß über
allem Betrieb des niederen Volkes, über allem Dogmenstreit der Priester, über aller
Buntheit frommer Erzählungen ein Wille und ein Gedanke das Weltgeschehen be-
herrscht. Konstantin der Große, jetzt endlich nach Niederringung des Licinius
Alleinherrscher geworden, ist die sichtbare und irdische Majestät, ist der Statt-
halter eines einigen und einzigen Gottes, der unsichtbaren und überirdischen
Majestät.
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