Man könnte meinen, auch der Stil beider Bilder sei so verschieden wie der Ge:
genstand der Darstellung. Aber dem aufmerksamen und forschenden Blick entgeht
es nicht, daß die Gesichter der Figuren, soweit sie erhalten und nicht ergänzt sind,
hier wie dort eigentümlich verschwommene und verquollene Züge haben, die in einer
stumpfen und spróden Art wiedergegeben sind. Die innere Bewegung, welche die
Formen der hellenistischen Kunst so locker, groß und ausdrucksvoll gemacht hatte,
scheint hier frostig erstarrt. Ebenso haben die Gewänder, in deren Faltenspiel sich
bei den Griechen immer so viel Leben ausspricht, etwas Totes, Schweres, man
möchte sagen Teigiges, und die nackten Körperteile atmen nicht frei und schimmern
nicht weich im Licht, sondern haben etwas Undurchdringliches, Stoffliches, künst-
lich Hergestelltes. Diese Art gibt den Figuren der beiden Relieffriese den Charakter
des bloß Abgebildeten. In jedem griechischen Kunstwerk erstanden die Götter,
Menschen und Dinge immer erneut zum Leben. Auf diesem römischen Werk da:
gegen sind die bereits Bild gewordenen Gestalten der griechischen Götter und
Dämonen noch einmal wiederholt, in dekorativer Absicht ausgewählt und zu:
sammengestellt.
Dieselbe Eigenschaft, Abbild statt Bild zu sein, hat aber auch die Seite mit dem
Census und Lustrum. Betrachten und zergliedern wir die Darstellung, dann ergibt
sich, daß einigen Hauptfiguren, welche die Handlung tragen, mehrere Nebenfiguren
gegenüberstehen, welche offenbar nur dazu da sind, die Menge der Beamten, Opfer-
diener und Soldaten zu vertreten. Während man links noch mit dem Abschluß der
Eintragungen, rechts schon mit der Vorbereitung des Opfers beschäftigt ist, sind
diese Nebenfiguren sich selbst überlassen; sie bewegen sich unbekümmert und frei.
Man sieht zwei Gruppen von je zwei Beamten und Soldaten, welche sich unterhalten.
Andere stehen allein, und zwar blickt ein Soldat über die Menge hin, wobei er sich
die Augen beschattet; ein anderer, welcher von dem großen Schild des ersten fast
ganz verdeckt ist, ihm aber den Rücken zuwendet, hat seinen schweren Schild auf
den Boden gestellt, schlägt die Beine übereinander und ruht sich aus. Von den
Musikanten bleibt der Kitharist stehen und blickt aus dem Bild heraus, der Tibicen
schreitet flöteblasend auf den Altar zu. Man weiß nicht, ob sie noch die Instrumente Ss
stimmen und noch üben oder schon zum eigentlichen Opfergange präludieren, so
wenig einheitlich und feierlich ist ihr Auftreten. Auch die Opterdiener sind nicht
alle einem gemeinsamen Tun im Gleichklang festlicher Gebärden hingegeben, son
dern sie bewegen sich alle unabhängig voneinander. Das regellose Getriebe einer
größeren Menschenmenge, welche sich zufällig zusammendrängt und dann wieder
auseinandertritt, kónnte mit Hilfe weniger einzelner Figuren nicht treffender wieder:
gegeben werden. Die Darstellung der Volksmenge, der Menschenmassen ist später
ein Hauptgegenstand der römischen Kunst. Schon dieses erste Werk sieht sich vor
derselben Aufgabe. Scheinbar wahllos sind die einzelnen herausgegriffen und in
ihrer augenblicklichen und zufälligen Stellung erfaßt. Das ist nun auch in dem Stil
des Werkes ganz vorzüglich zur Geltung gebracht. Die Figuren sind nämlich nicht
durch einen Reliefzusammenhang der plastischen Formen und nicht in einer gemein-
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