Full text: Die Kunst der Römer (1,2)

Pod md NN ed ed pd pd pe 
NM 
V 
  
  
auch die formale Struktur der italischen und noch der rómischen Plastik. Zwei 
Kräfte begegnen und durchdringen sich hier immer wieder: die mediterrane Statik 
und die nordische Dynamik. Besteht jene auf der kubischen und stereometrischen 
Monumentalisierung der plastischen Form, so drängt diese zum barockebewegten 
Ausdruck, zur Steigerung ins Persönliche. Schon in der etruskischen Kunst sahen 
wir diese Kräfte am Werk, fanden wir maskenhafte Starre und einmaliges, flüchtiges 
Leben nebeneinander. Viel mehr noch als im Etruskischen ist die Geschichte der 
römischen Kunst von dem Widerspiel dieser Kräfte erfüllt, weil sich hier eine neue 
geschichtliche Lage auswirkt. Jetzt kommt hinzu, daß die griechische Kunst in ihrer 
hellenistischen Tradition und in ihrer klassischen Vorbildlichkeit die eben gekenn: 
zeichnete italische Struktur verkleidet, verdeckt, umhüllt, aber háufig auch erst zum 
Sprechen und in Bewegung bringt. Da nimmt dann die nordische Dynamik die 
rauschende Gebärde des hellenistischen Barockes an, und da flüchtet sich die mediz 
terrane Statik in die strenge Schönheit der griechischen Klassik. Da entsteht dann 
jener roómische Klassizismus, dessen Erscheinungsformen so mannigfach und viel 
faltig sind und der so häufig zwischen ruhiger und bewegter, plastischer und male: 
rischer, optischer und haptischer Form wechselt. 
Was ist jedoch dieser Klassizismus anderes als die Kehrseite der vorhin ge- 
schilderten Liebe zum Gegebenen und Tatsächlichen in der Wirklichkeit? Was ist 
er anderes als das FesthaltenzWollen des verrinnenden Lebens? Auch die klassi 
zistischen Bildwerke sind nur die Totenmasken eines blutvollen Lebens von einst. 
Ob Klassizismus oder Realismus, — jedesmal sind es nur die Hiillen und Haute, 
welche das Leben abgeworfen hat. Warum gibt es denn in der rômischen Kunst 
keine Standbilder nackter Knaben, welche das Leben selber sind, keine Gôtterbilder, 
welche den Unsterblichen irdische Gestalt geben? Warum gibt es statt dessen so 
viele Porträtköpfe alter Männer, so viele Abbildungen von Staatsakten und poli- 
tischem Geschehen? Die römische Kunst hält die Zeit fest, die griechische Kunst 
das Leben. 
Deshalb ist das römische Kunstgeschehen nicht dort, wo griechische Kunst 
klassizistisch nachgeahmt wird, - so edel die Absicht ist, hohe Bildung zu bewahren, 
so wichtig und unentbehrlich römische Kopien griechischer Kunstwerke für uns zum 
Aufbau der griechischen Kunstgeschichte sind. Diese Seite der römischen Kunst 
gehört in das Gebiet der Dekoration und des bloßen Kunstbetriebes. Dagegen ge: 
schieht römische Kunst überall dort, wo aus den neuen geschichtlichen Kräften eine 
künstlerische Bewältigung und Gestaltung der Welt geleistet wird, einer Welt freiz 
lich, die aufgeteilt ist in eine irdische und eine überirdische Hàlfte. Das wurde ja 
schließlich der römischen Antike zum Verhängnis, daß das Römertum die grie- 
chische Einheit der Welt gesprengt hatte. Das erlaubte dem Christentum, seine 
Lehre von der Nichtigkeit des Irdischen und seinen Glauben an die Herrlichkeit 
des Lebens nach dem Tode im Abendland durchzusetzen. Aber das machte auch 
die Haltung der Römer so einzigartig und vorbildlich: dieses Standhalten und 
Herrschen in einer Welt, deren Götter nicht mehr Kräfte der Natur und des Geistes 
61 
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.