116 VIII. Vorlesung.
Organismus unterbrochen. Infolgedessen bildet sich der gleiche Zustand
heraus, wie wenn die Pankreasdrüse entfernt würe.
Ganz von selbst stoßen wir nun noch auf das folgende Problem. Wir
haben bis jetzt eine Doppelfunktion der Pankreasdrüse kennen gelernt. Sie
bildet und sezerniert den Verdauungssaft. Seine hohe Bedeutung für die
Kohlehydratverdauung haben wir bereits besprochen. Ferner gibt sie an
das Blut — direkt oder indirekt auf dem Wege der Lymphbahnen — In-
kretstoffe ab. Werden nun Sekret- und Inkretstoffe von den
gleichen Zellarten gebildet oder enthält die Pankreasdrüse
zwei grundsätzlieh verschiedene Zellarten? Die mikroskopische
Betrachtung der Pankreasdrüse zeigt, daß in der Tat zwei verschiedene
Zellformen in ihr vorhanden sind.!) Die einen stehen in Zusammenhang
mit Ausführungsgängen und sind ohne Zweifel als die Bildungsstätten der
Sekretstoffe anzusprechen. Die anderen sind in Gruppen angeordnet und
entbehren dieser Beziehung zu Ausführungskanälen. Es ist auch heute
noch nicht über jeden Zweifel festgestellt, ob man berechtigt ist, anzu-
nehmen, daß die nach ihrem Entdecker?) und ihrer Anordnung als Lan-
gerhanssche Inseln bezeichneten Zellarten allein für die Bildung von
Inkretstoffen in Frage kommen. Nach der einen Ansicht stellen die in den
Langerhansschen Inseln vereinten Zellen Jugendformen von später Pankreas-
saft liefernden Drüsenzellen dar. Nach dieser Anschauung käme für die
Jeeinflussung des Kohlehydratstoffwechsels das gesamte Drüsenparenchym
einheitlich in Frage?), d.h. eine Scheidung in Sekret- und Inkretzellen
wäre nicht vorhanden. Nach der anderen Anschauung hätte man zwischen
zwei Zellarten mit getrennten Funktionen zu unterscheiden. Es ist zurzeit
nicht móglich, zu der einen oder anderen Ansicht endgültig Stellung zu
nehmen. Mir scheint, daf) diejenigen Forscher, die für die Sekret- und
Inkretbildung gesonderte Zellarten fordern, zu sehr in der Meinung be-
fangen sind, als würde die einzelne Zelle eine biologische Einheit dar-
stellen. Je mehr wir in den physikalisch-chemischen Bau der Zellen Ein-
blick erhalten, um .so mehr erkennen wir, daß diese in. vieler Beziehung
eine Vielheit darstellen. Es handelt sich beim Zellinhalt nicht um eine
homogene Lösung, in der bestimmte Reaktionen sich einheitlich im ganzen
Zellinhalt vollziehen, vielmehr können wir die Zellen als einen. Komplex
von zahlreichen Einzelteilchen -— im gewissem Sinne kann man an Einzel-
räume denken — auffassen, die alle Orte besonderer Vorgänge und Funk-
tionen darstellen. Die Zelle ist nicht die letzte biologische Einheit,
vielmehr umfaßt sie viele solche! Von diesen Gesichtspunkten aus
bereitet es keine Schwierigkeiten, anzunehmen, daß ein und dieselbe Zellart
die Bestandteile des Pankreassaftes bereitet und zugleich Inkretstoffe
1) v. Hansemann :. Verhandl. d. Deutschen Pathol. Gesellsch. 187 (1901): Berliner
klin. Wochenschr. Nr. 20 (1912). — À. Weichselbaum: Sitzungsb. d. Akad. d. Wissensch.
Wien. 119. Abt. III. 73. 1910. — K. A. Heiberg: Ergebnisse der Anatomie und Ent-
wicklungsgeschichte. 19. 2. Hälfte. 1909 (1911). — Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Path.
51. 178. (1911). — Joh. Moldenhauer: Inaug.-Diss. Bern 1909. — Carly Seyfarth: Neue
Beiträge zur Kenntnis der Langerhänsschen Inseln im menschlichen Pankreas und
ihrer Beziehung zum Diabetes melitus. Gustav Fischer, Jena 1920. — Fr. M. Allen:
The J. of exper. Med. 31. 363 (1920); The J. of metabolic Research. 1. 5, 75, 165,
93, 221, 251 (1922). — W. B. Martin: Ebenda. 1. 43 (1922).
*) Langerhans: Beitráge zur mikroskopischen Anatomie der Bauchspeicheldrüsen.
Berlin. Diss. 1869.
2
?) Vgl. hierzu besonders Carly Seyfarth: Neue Beitráge l. c. (Zitat 1, S. 176).