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genügt es, wenn soviel Salzsäure vorhanden ist, um das Eiweiß zu binden.
Es bilden sich sogenannte Azidalbumine. Andere Forscher dagegen
betonen, daß die Bedeutung der Säure darin liege, daß sie daß Eiweiß zum
Quellen bringt und dadurch für die Wirkung des Pepsins vorbereitend wirkt.)
Es ist sehr leicht müglich, daf verschiedene Momente zusammenwirken.
Sehon die ersten genaueren Beobaehtungen über die Wir-
kung des Magensaftes auf Eiweiß ergaben, daß er imstande
ist, koaguliertes Eiweiß zu verflüssigen bzw. in Produkte über-
zuführen, die in Wasser löslich sind. Réaumur hat wohl zuerst
systematische Untersuchungen über die Bedeutung des Magensekretes
angestellt. Er füllte Metallröhren mit Nahrung und ließ diese von einem
zahmen Bussard verschlucken. Das eine Ende des Rohres war verschlossen,
das andere mit Mull bedeckt. Der Bussard bricht unverdauliche Produkte,
wie Federn, Haare, Knochen usw., nach einiger Zeit aus. Auch die
Metallröhren wurden nach einigem Verweilen im Magen nach außen
befördert. Es zeigte sich, daß ihr Inhalt je nach der Dauer des Verweilens
im Magen mehr oder weniger verflüssigt war. An Stelle von Nahrung
brachte Réaumur bei späteren Versuchen Schwamm in das Metallrohr.
Dieser sollte die verdauende Flüssigkeit aufsaugen. Jéawmur ?) hoffte durch
Auspressen des Schwammes eine Flüssigkeit gewinnen zu können, mit der
sieh im Reagenzglas die Magensaftwirkung nachahmen lief. Die Versuche
verliefen jedoch ergebnislos. Stevens?) der ühnliche Versuche wie Réawmur
an einem Menschen anstellte, war erfolgreicher. Er konnte ferner Magensaft
vom Hunde gewinnen und zeigen, daß dieser auch außerhalb des Organismus
Fleisch auflöst. Spallanzani*) erweiterte diese Beobachtungen und bewies
endgültig, daß es gelingt, den Verdauungsvorgang im Magen im Reagenz-
glas mittels des Sekretes der Magendrüsen nachzuahmen. Die Entdeckung
des Pepsins verdanken wir Schwann®) und diejenige der freien Salz-
säure im Magensaft Bidder und Schmidt‘), nachdem schon vorher Tiede-
mann und Gmelin’) die Salzsäure als solche erkannt hatten.
Es stehen zum Studium der Einwirkung des Sekretes der Magen-
drüsen auf Eiweiß verschiedene Methoden zur Verfügung. Wir können
einmal bestimmte Eiweißarten oder Gemische von solchen bestimmten Tieren
verfüttern und feststellen, was aus ihnen geworden ist. Der Mageninhalt
läßt sich entweder durch Aushebern gewinnen, oder es werden die Ver-
suchstiere eine bestimmte Zeit nach erfolgter Fütterung getötet. Der
Magen wird dann rasch abgebunden und sein Inhalt entleert.®) Endlich
können wir Magenfisteln anlegen und aus der Fistelöffnung den Inhalt
des Magens von Zeit zu Zeit ablassen.
*) Vgl. hierzu auch Wo. Ostwald und, A. Kuhn: Kolloid. Zeitschr. 30. 234 (1922).
?) Réaumur: Mém. de l'Aead. des Sciences. 266, 461 (1752).
*) Stevens: De alimentorum concoctione. Edinburgh 1777.
*) Spallanzani: Expériences sur la digestion de l’homme et de différentes
espèces d’animaux. Genève 1783; Versuche über das Verdauungsgeschäft. Deutsch von
Michaelis. Leipzig 1785.
?) Schwann: Müllers Archiv. 90 (1836). — Vgl. auch Eberle: Physiologie der
Verdauung auf natürlichem und künstlichem Wege. Würzburg 1884. — W. Beaumont:
Neue Versuche und Beobachtungen über den Magensaft und die Physiologie der Ver-
dauung. Deutsch von B. Luden. Leipzig 1834. ;
©) Bidder u. Schmidt: Die Verdauungssáfte u. der Stoffwechsel. Mitau u. Leipzig 1852.
7) Tiedemann und Gmelin: Verdauung naeh Versuchen. Heidelberg 1826.
*) Vgl hierzu u. A. Emil Abderhalden:; Zeitschr. f. physiol. Chem. 44. 17 (1905).