Full text: Der Urnenfriedhof Dingen, Kr. Wesermünde

Vorwort. 
Die hier erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Funde des Urnenfriedhofes von 
Dingen, Kreis Wesermünde sind in einer Reihe verschiedener Grabungen zu Tage gefördert. Die 
ersten Stücke wurden schon im Oktober 1896 ergraben. Es war die erste wissenschaftliche Unter- 
nehmung des jungen Bundes der ,, Mánner vom Morgenstern", dessen Name damit anfing in den 
Kreisen der deutschen Vorgeschichtsforscher bekannt zu werden. So begann noch unter den Augen des 
Gründers des Bundes, des Marschendichters Hermann Allmers, von ihm selbst eifrig gefórdert, 
seine Wandlung von der Form der anregenden, fróhlichen Tafelrunden in Weddewarden im Lande 
Wursten zu dem Heimatverein mit weiter wirkenden Forschungsaufgaben. Fortan traten óffentliche 
Versammlungen an die Stelle des kleinen Zirkels im ,,Schlosse Morgenstern und trugen die Gedanken 
der Heimatpflege in das ganze Forschungsgebiet zwischen Niederelbe und Niederweser. 
Die zweite Phase der Heimatvereinigung, beginnend im Jahre 1890, erhielt ihre besondere 
Richtung auf die Vor- und Frühgeschichte der Heimat durch die ersten reichen Funde aus Dingen. 
Sie wurden alsbald auf einer großen Versammlung der „Männer vom Morgenstern“ im „Englischen 
Garten“ in Lehe am 12. Dezember 1896 öffentlich gezeigt und in einem ausführlichen Vortrage durch 
Dr. Johann Bohls erläutert. Der trotz seiner 76 Jahre noch körperlich und geistig frische 
Marschendichter wohnte ihr selbst bei und sprach dem Redner mit Bewunderung für die Funde den 
Dank der Heimatforscher aus. Mit welcher starken Anteilnahme Hermann Allmers die hier 
zuerst in einer Nordseemarsch zu Tage geförderten Gegenstände beachtet hat, wissen wir auch aus 
einem Briefe, der, bisher unveröffentlicht, uns dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt wurde. Am 
5. November 1896 teilte er von seinem Wohnsitz Rechtenfleth aus seinem jungen Freunde Robert 
Wiebalck, damaligem Studenten der Rechte in Göttingen, unserem heutigen bewährten Heimatforscher, 
als Neuestes mit, was alles in Dingen von Dr. Bohls ausgegraben sei. Bezeichnend für Allmers als 
Kunstfreund und insbesondere als Kenner römischer Altertümer ist seine Freude und Bewunderung über 
die beiden Gefäße mit Tierdarstellungen, die ihm ganz unerwartet der heimische Boden bewahrt hatte, 
während die Bedeutung der Funde für die Kultur der Nordseeanwohner und die Besiedlungsgeschichte 
der Marschen ihm noch nicht aufgegangen war. Hören wir den Dichter selbst darüber in seinem 
Briefe: . 
„Sie scheinen zu meiner Verwunderung ja noch gar nicht von dem hochbedeutenden Funde bei 
Dingen Kenntnis zu haben, während derselbe uns hier in wahre Aufregung versetzt wie seit langem 
nichts. Nicht meine ich den eigentlichen, ebenfalls auch interessanten großen altgermanischen Urnen- 
friedhof, den Dr. Bohls sofort entdeckte, seine eigentümliche Verbrennungsstätte, die in oblonger Form 
von Granitsteinen umhegt war und noch bedeutende Kohlenreste hatte, nicht die rätselhaften, zum 
Teil bearbeiteten Holzhaufen, nicht die vielen Urnen mit ihren verkalkten Knocheninhalten, in denen 
die Beigefäße waren, wie man sie überall findet, roh mit bloßen Händen geformt, von dunkler Farbe, 
durch Feuer hell gehärtet und mit wenigen Ausnahmen unansehnlich. Was aber stellte sich plötzlich 
mitten unter ihnen dar? — Ein Häuflein Scherben von hellerem und feinerem Tone, aber jede mit 
Spuren von Reliefs vollendeter Arbeit, die sofort zeigten, daß man es hier mit einem hochbedeutsamen . 
Kunstwerk zu tun hatte. Aufs sorgsamste von Bohls gesammelt und mit auferordentlichem FleiB und 
Geschick wieder zusammengesetzt, haben wir jetzt zwei Gefäße vor uns, welche sicherlich im Stande 
sind, die Archäologen geradezu mit lebendigster Verwunderung zu erfüllen, Reiches, aber höchst 
eigenartiges Pflanzenornament überzieht überall in staunenswerter Weise das offenbar auf der Töpfer- 
scheibe sehr edel geformte Gefäß und dazwischen setzen uns höchst lebendig und naturalistisch ge- 
bildete Tiere in Erstaunen, vor allem ein Eber mit einem langhaarigen Wolfshund im Kampfe auf 
dem einen, ein spürender Jagdhund auf dem anderen noch nicht völlig wieder hergestellten Gefäße. 
Alles in ausgezeichnetem schärfsten Relief. Aber nun dabei das Allermerkwürdigste. Eine kurze la- 
teinische Inschrift DONA ME ist auf die Wand gemalt, sicher aber später, denn mit dem ersten Blick 
sieht man, daß sonst an römische Kunst kaum zu denken ist. Ein solches geradezu völlig stilloses 
Ornament, wie es sich hier darstellt und noch nie mein Auge erblickte, könnte alles andere sein als 
römische Art. Wer weiB, ob nicht'aus rómischer Hand ein phónizisch Werk einst empfangen wurde. 
 
	        
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