Full text: Die Baustillehre (12. Band)

   
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B. System der gotischen Bauweise. 
Die Gewölbe. Drei Hauptpunkte sind es, die aus den Ueberlieferungen 
und Errungenschaften der einzelnen franzósischen Architekturschulen mehr und 
mehr zur Fórderung der zweckmässigen Konstruktion herausgeschilt wurden, 
das sind einmal das mit Rippen ausgeführte Kreuzgewölbe, dann der zu- 
gehörige Strebepfeiler und schliesslich der hieraus entstandene Strebebogen. 
Angebahnt war deren Anwendung in der kirchlichen Baukunst des romanischen 
Stiles bereits hier und da diesseits sowohl (Dom zu Mainz) als auch jenseits des 
Rheines. Aber der Ruhm, sie zu einem ganz unverrückbaren und zugleich höchst 
vollkommenen Systeme vereint zu haben, gebührt allein Frankreich, wenn auch 
Deutschland in der grossartigen Weiterentwickelung und streng systematischen 
Ausgestaltung dieses gotischen Stiles allen anderen Kulturländern späterhin 
voranging. 
Schon bei den grösseren französischen Kirchen der südlichen Landschaften 
(vergl. Fig. 173, 175 und 177) war am halbkreisförmigen Chorabschluss die Zu- 
gabe eines radial herumlaufenden Kapellenkranzes üblich gewesen, ohne dass man 
imstande war, denselben in das Wölbsystem der Kreuzgewölbe mit hineizuziehen. 
Dieselbe Grundrissform behielt der gotische Stil bei, nur mit dem Unterschiede, 
dass jetzt die Wölbetechnik mit Kreuzgewölben so ungeheuer vervollkommnet wurde, 
dass Räume jeglicher Grundrissform mit Leichtigkeit dem allgemeinen Gewölbe- 
system eingefügt werden konnten. 
Als Bogenform tritt hierbei überall, ob konstruktiv bedingt oder nicht, an- 
statt des bisher üblichen Rundbogens der Spitzbogen*) auf, denn es war den 
Baukünstlern sehr wohl bekannt, dass der Rundbogen einen weit stärkeren Seiten- 
schub ausübte, als der Spitzbogen und dass dieser Schub sich umsomehr ver- 
minderte, je steiler die Schenkel dieses Spitzbogens emporgeführt wurden. Das 
war bei den Gewölben von ganz gewaltigem Einfluss auf die als Widerlager auf- 
tretenden Pfeiler oder Mauern. Das Gewölbe selbst war in kräftige, aus Werk- 
stein gehauene Quer- und Diagonalrippen aufgelöst worden; die zusammen an 
ihren gemeinschaftlichen Fusspunkten den Druck des Mittelschiffgewölbes auf 
einzelne Punkte der Mittelschiffmauer übertrugen, die übrige Mauer aber ent- 
lasteten. Dies war entscheidend für die Grundrissbildung, indem man hierbei 
zunächst die Hauptpunkte, die den Gewólbedruck aufnehmen sollten, festlegen 
musste. Sie bildeten allein die Stützen des gesamten baulichen Gerüstes. Ent- 
lasten konnte man aber die Hauptdruckpunkte des Mittelschiffes wieder in ein- 
facher Weise dadurch, dass man Bögen von ihnen aus, über die Seitenschiffe hin- 
weg, nach den Aussenmauern schlug und hier entsprechende Widerlager errichtete. 
Alles dieses sehen wir zum ersten Male vereinigt und genau durchdacht 
an dem Suger’schen Chorbau zu St. Denis (Fig. 261). Spitzbogige Kreuzgewölbe 
*) Unbekannt war den Baukünstlern jener Zeit der Spitzbogen keineswegs; er hatte 
auch hier und da in der romanischen Kunst schon Anwendung gefunden (Dom zu Mainz). An 
arabischen Bauten Aegyptens war er durch die Kreuzzüge den Europäern bekannt geworden. 
In der Frühgotik konstruierte man ihn aus der dreifach geteilten Grundlinie; in der Blütezeit 
wurden die steileren Bögen aus den beiden Kämpferpunkten erzielt; später verlegte man 
die Stichpunkte für stark lanzettförmige Spitzbögen noch über die Kämpferpunkte hinaus. 
Die Bezeichnung „Spitzbogenstil für Gotik“ würde trotzdem nicht zutreffend sein. 
     
  
    
    
  
  
     
  
  
   
   
   
   
  
  
  
  
  
  
  
   
   
   
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
	        
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