Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

  
99 B. Bretholz: Lateinische Paläographie. 
ander gelehnt, anderseits aber noch mit ungleichmäBig durchgeführter Worttrennung, 
macht die Schrift den Eindruck schulgemäßer Korrektheit, nicht aber wirklicher kalli- 
graphischer Durchbildung. Sodann bieten uns die Monumenta palaeographica eine 
die paläographische Literatur wesentlich bereichernde Sammlung von Proben aus 
bayrischen Schreibschulen, aus Regensburg, Würzburg und Salzburg.!) Die bis ins 
einzelnste gehende Charakterisierung der Schrift, wie sie in den Erläuterungen zu den 
Tafeln gegeben wird, bietet reichen Stoff für paläographische Detailstudien. Man kann 
hier an mehreren zeitlich voneinander nicht allzuweit abliegenden Schriftwerken der- 
selben Schule die Fortentwicklung jener Elemente verfolgen, die für diese Periode 
wichtig sind: die Ausbildung der Ansatzlinien bei Mittel-, Ober- und Unterschäften, die 
Umwandlung der runden Formen in eckige, die immer strengere Durchführung der 
Worttrennung. Man wird auf den langsamen Fortschritt der Entwicklung aufmerksam, 
wenn der Herausgeber bei der Charakterisierung der Schrift eines Stückes aus dem 
dritten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts (Troparium von St. Emmeram, Lief. III, T. 5) 
bemerkt, sie zeige „jene Ausbildung der Minuskel, die sich bis in die Mitte des 12. Jahr- 
hunderts in fast erstarrten Formen erhalten hat“. 
Unvergleichlich reichhaltiger ist in den genannten, insbesondere in der letzten 
Sammlung das Material aus dem 11. Jahrhundert. Zu den bayrischen Klöstern tritt 
jetzt Tegernsee seit 1000 mit handschriftlichem und urkundlichem Stoff.?) Die Auto- 
graphe der berühmten Tegernseer geistlichen Schreiber, eines Froumond, Ellinger, 
Gotahelm, Sigipold, die alle im Verlaufe des 11. Jahrhunderts gelebt und gewirkt haben, 
zeigen uns die allmähliche langsame Fortbildung der Minuskel. Sie charakterisiert sich 
bloß in der immer stärkeren Betonung der langen vor den breiten Buchstabenformen, 
in der immer konsequenter hervortretenden Neigung die alte schöne Rundlinie in eine 
mehr geradlinige umzubilden, sie zu , brechen": V1, O Q , e €, MM. Dieselbe Sammlung 
zeigt uns aus anderen bayrischen Klóstern das (allerdings nicht ganz sichere) Autograph 
Arnolds von St. Emmeram (Lief. III, T.6 von ca. 1037), das des Mônches Otloh 
aus demselben Kloster in Buch- und Glossenschrift in einer wahrscheinlich in 
St. Emmeram selbst 1052—1062 oder kurz nach 1066 entstandenen Handschrift 
(Lief. III, T. 7, 8).3) 
Otioh, obwohl als Vielschreiber bekannt, zeichnet sich durch eine gleichmäßige, schulgerechte, 
schöne Schrift aus. Die Schäfte von 7, u, n, m sind geradlinig und gleich stark, 4, der SchluBschaft 
von n und m zeigen ganz feine, kurze Abstriche, die auch bei q, bei den Oberschäften d, h, l auftreten, 
bei denen auch eine leise Verdickung noch wahrgenommen wird. Die Rundungen sind vollendet, 
die Schleife des a oval, der Schaft noch ziemlich schräg. Er gebraucht d mit liegendem Schaft, 
Majuskel-N und rundes s auf der Zeile. 
Diesem Beispiel aus deutschem Gebiete halte man gegenüber die nicht weniger formgewandte 
schóne Hand des Chronisten Sigebert aus dem belgischen Kloster Gembloux vom Jahre 1071 nach 
dem Bilde bei ARNDT-TANGL T. 56a.*) Hier sind die Abstriche bei den Schäften der kleinen Buch- 
staben % usw. so stark entwickelt, daß die Buchstaben eines Wortes zusammenhängen; auch der 
zweite Schaft des m/zeigt hier und dort solche Abschluflinien; an den Oberlängen tritt Einkerbung 
hervor — kurz, der Gesamteindruck ist der einer bereits vorgeschritteneren Entwicklung. Ahnliche 
Gegensátze nehmen wir auch wahr, wenn wir bei SrEFFENs T. 59b (fehlt in der 2. Aufl), die 
1) Für Regensburg II, 6 (post 900), 7 (975—1001), III, 2 (977); für Würzburg V, 10 (995 
bis 1018); für Salzburg VII, 9 (935), 10 (963—976), VIIL, 1 (991—1023); für Tegernsee (fraglich) 
Ser. II, Lief. 1b (X. Jahrh.) AuBerdem für Trier III, 10 (c. 950); für Prüm IV, 1 das Goldene Buch 
(p. 919); für Reichenau IV, 2 (a. 993) u. a. m. 
2) Ser. IL, Lief. I, T. 6—10, II, 1—8, III, 3a. 
3) Ein anderes Beispiel der Schrift Otlohs s. AnNpr-Tawar T. 19. 
4) Andere Beispiele in diesem Werke aus dem 11. Jahrh. bieten, neben dem schon erwühnten 
Otloh, T. 20 (Briefe des h. Hieronymus, reich an Kürzungen), T. 54 (Canonesslg. des Bernhard von 
Worms 1034—1046, grofle breite Schrift mit merklicher Verdickung der Oberschäfte), T. 55 (Cas- 
siodors Expositio in psalmos, ca. 1051—1076, wo, wie TANGL bemerkt, die verhältnismäBig spärliche 
Anwendung von Kürzungen auffällt). — STEFFENS gibt ein Autograph Sigiberts aus derselben 
Hs. mit der Datierung 1101—1106, T. 77 Suppl. (33). 
  
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