Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

     
  
   
   
  
  
   
   
     
      
   
    
   
   
    
  
  
   
   
  
  
    
  
  
  
  
  
  
  
     
  
   
   
    
   
   
      
       
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B. Bretholz: Lateinische Paläographie. 
des Constantin von Monte-Cassino von 1147!), in dem Liber artis medicinae von 1168?), 
in den beiden Handschriften der Wiener Hofbibliothek, Imago mundi des Honorius 
Augustodunensis und Collectio canonum ohne genauere Zeitbestimmung.?) Die Schrift 
variiert in der GroBe der Buchstabentypen, so daf sie bald in stattlicher, bald in zier- 
licher Form auftritt, aber immer ist das Bestreben der vollsten GleichmäBigkeit und 
Reinheit der Striche besonders auffallend. 
Zwei Tafeln bei ARNDT-TANGL (T. 21, Chronik des Presbyters Heimo von Bamberg vom 
Ó Jahre 1135 und T. 56b, Godescales Fortsetzung der Chronik Sigeberts von Gembloux von ca. 1136) 
zeigen uns den bedeutenden Vorsprung, den die Sehriftentwicklung im Westen innehat, und der in 
diesem Falle so auffallend erscheint, daß die Vermutung ausgesprochen wurde, ob nicht die letztere 
Handschrift bereits dem 13. Jahrhundert angehöre, was aber von TANGL mit Recht bezweifelt wird. 
Dort überwiegen die runden Formen, hier ist die Brechung der Schéfte stark vorgeschritten. In den 
bayrischen Handschriften, daraus die Mon. pal. für diese Zeit reichen Stoff darbieten, wührt der 
Kampf zwischen runden und eckigen Formen fast noch das ganze Jahrhundert fort, so zwar, daß 
selbst noch gegen das Ende des 12. Jahrhunderts in den Regensburger Traditionsbüchern Hände 
auftreten, die, wie der Herausgeber bemerkt, fast nicht mehr zeitgemäße runde Formen in An- 
wendung bringen (Lief. IV, T. 6), in anderen Beispielen, wie in der vom Mönche Ulrich geschriebenen 
Handschrift der Dialoge Gregors des Großen (Lief. IV, T. 10, zwischen 1177—1201) runde und 
gebrochene Formen nebeneinander hergehen. 
Eine andere Erscheinung, die Gabelung der Schäfte, ist ein Charakteristikum 
der Salzburger Schrift, wo sie bei weitem früher, schon in der ersten Hälfte des 12. Jahr- 
hunderts wahrzunehmen ist, während andere bayrische Schulen sie erst in vor- 
geschritteneren Jahrzehnten dieses Säkulums aufweisen (vgl. Lief. VIIT, T. 8.5) Doch 
auch hier in Bayern zeigt die Mehrzahl der Handschriften aus dieser Periode, 
selbst wenn sie den Charakter von Geschiftsbiichern oder Urkundenbüchern tragen, 
eine auffallend gleichmäßige und kalligraphische Ausbildung, die geübte Schreiber er- 
kennen 1äßt. 
Das 12. Jahrhundert wird allgemein als ein Wendepunkt in der Schriftentwick- 
lung der Minuskel angesehen. Der Eroberungszug in die Länder mit nationalen Schrift- 
arten war bereits abgeschlossen®), die auf sorgfältige Ausgestaltung des Buchstaben- und 
Schriftbildes durch Bildung bestimmter regelmäßiger Formen, Durchführung der Wort- 
trennung, Beschränkung des Höhenmaßes der einzelnen Buchstaben gerichteten Be- 
strebungen waren erreicht; es ist wie auch schon das Ende des vorigen Jahrhunderts 
die Zeit der schön und deutlich geschriebenen Bücher, in denen weder übermäßige 
Ligaturen noch Kürzungen das Auge stören. Anderseits aber treten die Er- 
scheinungen, die man seit geraumem sich anbahnen sieht, die Umwandlung der 
Rundungen in gebrochene Formen, die Ausgestaltung der Abgrenzungsstriche am 
Kopfe und Fuße der Schäfte deutlicher hervor und geben der Schrift ein wesent- 
lich verändertes Aussehen. 
Diesen allgemeinen Gesichtspunkten gegenüber tritt aber naturgemäß mit der 
immer stärker zunehmenden Schreibtätigkeit die lokale und auch individuelle Ver- 
schiedenheit der Handschrift überall kräftiger und klarer hervor. Damit beginnt die 
von Jahrhundert zu Jahrhundert sich steigernde Schwierigkeit, aus der Vielgestaltig- 
keit der Schrift die allgemeinen Grundzüge herauszufinden. 
1) Scaum, T. 9, 10; auch T. 12 (franz. Lied auf den Kreuzzug von 1147) und 14 (Johannes' 
v. Sevilla Übersetzung des Liber XXX differentiarum) zeigen diesen schónen Zug, der nur durch 
die Kleinheit der Schrift an kalligraphischer Ausführung ein wenig einbüDt. 
2) ARNDT-TANGL 23a. 
3) Mon. graph. IV, 10, 11; vgl. auch noch X, 8 (Codex S. Ambrosii, enthaltend libros 
hexaemeron von 1134) in grofer deutlicher Schrift. 
4) Vgl. auch SrEFFENs T. 35 Suppl. (84), Salzburger Traditionskodex von 1150. 
5) Vgl. die Minuskel im englischen Domesday-Book SrEFFENs T. 32 Suppl. (74), oder den 
Frontin in Montecassino von 1137, T. 65b (79b), oder die in Antiochien geschriebene ,,Cicero- 
handschrift von c. 1154, T. 35 Suppl. (830). 
  
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