Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

  
  
8 B. Bretholz: Lateinische Paläographie. 
Fülle von Nachrichten zusammengestellt, aus denen der fast ununterbrochene Gebrauch durch alle 
Jahrhunderte und in den verschiedenen Ländergebieten des Abendlandes erhellt.?) 
Im Vergleiche zu den fast fortlaufenden literarischen Zeugnissen beschränken 
sich die erhaltenen Beispiele nur auf bestimmte Zeitperioden. Römische Originale 
sind nur aus dem 1. und 2. nachchristlichen Jahrhundert aus zwei verschiedenen Fund- 
stätten bekannt. In den Jahren 1786 und 1788 entdeckte man in alten von den Römern 
bebauten Bergwerken im Gebiete des heutigen Vöröspatak in Siebenbürgen mehrere 
Wachstafeln, davon einige durch Mißgeschick zugrunde gegangen sind, andere aber 
im Pester Museum noch heute aufbewahrt werden. Sie blieben lange Zeit inhaltlich 
ein Rätsel, da die Schrift nicht entziffert werden konnte. Das gelang erst dem Münchner 
Professor der altdeutschen Literatur H. F. MassMANN,?) der sich schon vorher mit 
ähnlich geschriebenen Dokumenten aus dem 6. Jahrhundert bescháftigt hatte.) Die 
Funde um Vóróspatak mehrten sich, so daB schlieBlich 25 Stücke bekannt wurden.4) 
Diese siebenbürgischen (dacischen) Wachstafeln, aus den Jahren 131—167 herrührend, 
bilden Triptycha, d. h. sie bestehen aus drei Tafeln mit sechs Seiten, von denen die 
erste und letzte als Umschlag keine Wachsschicht tragen und auch unbeschrieben 
sind, während die inneren vier Seiten zur Aufnahme der Schrift dienen. Es handelt 
sich hierbei immer um privatrechtliche Urkunden, Kauf-, Pachtverträge, Sicher- 
stellungen, die derart eingetragen waren, daß der Originaltext auf Blatt 2 und 3 stand, 
auf Seite 4 die Zeugennamen mit den Siegeln folgten und unmittelbar danach die 
Abschrift der Originalurkunde (Chirographum) sich anschloß, die auf der 5. Seite 
endigte. Die beiden ersten Seiten wurden durch einen Bindfaden verschlossen und 
versiegelt, damit der authentische Wortlaut nur von Gerichts wegen festgestellt werden 
könne, die Abschrift auf der vorvorletzten und vorletzten beschriebenen Seite blieb 
frei lesbar. 
Neue Funde von Wachstafeln erfolgten sodann in den Jahren 1875 und 1876 
in Pompeji in der stattlichen Anzahl von etwa 130 Stücken, die im Hause des L. Cäcilius 
Jucundus in einer Holzkiste entdeckt wurden und sümtlich in die Zeit von 15— 62 n. Chr. 
gehoren.®) Inhaltlich stellen sie zum. gróften Teil Quittungen und Eintragungen über 
geleistete Zahlungen (perseriptiones) dar. Obgleich um ein Jahrhundert älter als die 
dacischen, unterscheiden sie sich von ihnen in der Anordnung fast gar nicht, außer 
daß bei einigen die vierte Seite nicht mit Wachs bestrichen war, sondern daß hier 
mit Tinte unmittelbar auf Holz geschrieben wurde. Wachstäfelchen anderen Inhaltes, 
etwa mit Briefen, Botschaften, Testamenten oder literarischen Konzepten in latei- 
nischer Sprache sind bis nun nicht aufgefunden worden; diese Verwendung ist aber 
zur Genüge aus den Nachrichten griechischer und rómischer Schriftsteller bezeugt.$) 
In ihrer Form haben die Wachstafeln groBe Ähnlichkeit und Verwandtschaft mit den so- 
genannten rómischen Militárdiplomen (tabulae honestae missionis), die aus zwei durch Ringe an 
der einen Langseite zusammenhàngenden Bronzepláttchen bestanden, also ein Diptychon bildeten, 
auf deren Innenseiten das kaiserliche Edikt, durch welches ausgedienten Soldaten Bürgerrecht und 
1) Vgl. Schriftwesen S. 63—89, dort auch die ältere Literatur. Ferner Thesaurus linguae 
latinae s. v. cera, codex. 
2) Libellus aurarius sive tabulae ceratae et antiquissimae et unicae Romanae, Lips. 1840. 
3) Die gothischen Urkunden von Neapel und Arezzo, Wien 1838. 
4) Sie sind wiedergegeben in CIL. III, Suppl. 2. Vgl. Dr. ERDY JANOS, De tabulis ceratis 
in Transsilvania repertis (Pest 1856), wo die Fundstellen der einzelnen Stiicke und ihre weiteren 
Geschicke genauer beschrieben sind. 
5) Jetzt im Museum in Neapel, vgl. CIL. IV, Suppl. 1; die ältere Literatur vgl. WATTEN- 
BACH, Schriftwesen S. 57. Vgl. auch V. GARDTHAUSEN a. a. O. S. 7, N. 3. 
6) Nach GuNDERMANN a. a. 0. IX, III, 39, veröffentlichte SEYMOUR DE Rıccı in „Procedings 
of the Society of Biblical Archaeology 1904 (Mai-Juni)" zwei Wachsdoppeltafeln mit Abbildungen, 
deren eine der Bodleiana in Oxford, die andere Lord AMHERST gehört; letztere, aus Ägypten stam- 
mend, eine Freilassungsurkunde eines Sklaven, sei bisher das einzige Stück dieser Art und für die 
lateinische Paläographie von besonderem Werte. 
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