Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

  
  
19 B. Bretholz: Lateinische Palüographie. 
von Chlotar III. aus den Jahren 660 bis 673)!), dagegen ist in der karolingischen kónig- 
lichen Kanzlei der Papyrus niemals in Anwendung gekommen. Nur in Spanien und 
Italien behauptet sich dieser Schreibstoff über das 8. Jahrhundert hinaus. Reichen 
die Papyrusurkunden aus Ravenna und einigen anderen italienischen Stádten von der 
Mitte des 5. bis ins 10. Jahrhundert?), so beweist die pápstliche Kanzlei in dem kon- 
sequenten Festhalten an diesem Schreibstoff, wiewohl er aus der Fremde und aus den 
Händen von Feinden des Christentums beschafft werden mußte, einen auffallenden 
Konservativismus im Kanzleiwesen. Bis gegen Ende des 10. Jahrhunderts gilt dort der 
Papyrus fast als ausschließlicher Beschreibstoff; erst unter P. Benedikt VIIL. (1012 
bis 1024) wird neben Papyrus auch Pergament gebraucht — eine Bulle von 1022 für 
Hildesheim ist das jüngste tatsächlich erhaltene Papyrusstück aus der päpstlichen 
Kanzlei —3), aber der Kampf zwischen beiden Beschreibstoffen währt noch bis in die 
zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts, denn es ist glaubwürdig überliefert, daß auch noch 
P. Victor II. in seinem letzten Regierungsjahre, 1057, ein Privileg auf Papyrus hat 
Schreiben lassen. 
Der wirkliche Gebrauch hat somit die Produktion in Agypten noch iiberdauert, 
sei es, daß die Kurie über Vorráte verfügte, sei es, daD man es einige Zeit mit sizilischem 
Papyrus versuchte, der sich aber nicht bewährt haben dürfte. 
§ 3. Pergament, 
Die Papyrusfabrikation war im 10. Jahrhundert durch das Aufkommen des 
Papiers endgiiltig vernichtet; allein lange zuvor schon war dem Papyrus in dem Per- 
gament, dem eigentlichen Beschreibstoff des Mittelalters, ein Rivale erstanden, der die 
Einführung und rasche Verbreitung des Papiers im Abendlande noch geraume Zeit zu 
hemmen vermochte. Der Name pergamena spricht deutlich für eine besonders nahe 
Beziehung dieses Materials zur Stadt Pergamon, die schon durch ihre berühmte Bi- 
bliothek als ein Zentrum geistigen Lebens bezeugt ist.^ Die bestimmte Nachricht aber, 
die auf VARRO (geb. 116 v. Chr.) zurückgeht, daß die Verwendung von membranae als 
Beschreibstoff in Pergamon unter K. Eumenes II. (197—159) aufgekommen sein soll, 
als K. Ptolemäus eifersüchtig auf die dortige Bibliothek den Verkauf von Papyrus dahin 
verbot, gilt heute allgemein als Fabel”), ihre Glaubwürdigkeit wurde auch schon von 
der älteren Forschung bezweifelt.) Der Umstand, daß die Verwendung von Tierhäuten 
(dupréoee, membranae) als Beschreibstoff bei den jonischen Griechen, wie HERODOT 
bezeugt, und bei anderen asiatischen Völkerschaften seit alters her bekannt war, 
beweist schon, daß es einer Erfindung in so vorgeschrittener Zeit kaum mehr 
bedurfte. Man kann nur an einen Fortschritt in der Bearbeitung des Stoffes 
denken und annehmen, daß eben in Pergamon, vielleicht unter Eumenes II., vielleicht 
schon früher, die, eigenartige Herrichtung bestimmter Tierhäute zu Pergament, bei der 
im Gegensatz zur Ledererzeugung kein eigentlicher Gerbprozeß stattfindet, beson- 
deren Aufschwung genommen hat, und Pergamon mit seiner membrana Pergamena 
1) Die frühere allgemeine Annahme, daß die jüngste merowingische Papyrusurkunde von 
Chlodwig III. 692 o. 693 stamme, hat widerlegt W. ERBEN, Papyrus und Pergament in der Kanzlei 
der Merowinger, in MIÓG. XXVI, 123. 
2) Das Hauptwerk über die italischen Papyrusurkunden ist MARINI, I papiri diplomatici, 
Rom 1805. 
3) Auf ein noch jüngeres Fragment, den Rest einer Bulle P. Leos IX. für die Kirche von Puy 
aus dem J. 1052, bloB Rota und Bene Valete aufweisend, macht aufmerksam M. Prov, Deux frag- 
ments de bulles sur papyrus au Musée du Puy, in BÉCh. LXIV, 577. — Vgl. auch H. OmonT, 
Bulles pontificales sur papyrus, IXe—XTe siècle, ebenda LXV, 575. 
4) Über das Alter der pergamenischen Bibliothek vgl. CLARK, The care of books, S. 6ff. 
5). Printus Hist. natur. XIII, c. 11. — Die kritischen Schwierigkeiten dieser Stelle beleuchtet 
Birt, Das antike Buchwesen, S. 51. 6) Vgl. SCHOENEMANN, Diplomatik I, 483.
	        
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