14 B. Bretholz: Lateinische Palüographie.
als der legale Beschreibstoff, bis auch hierin im Verlaufe des 1., besonders dann im
8. Jahrhundert die entscheidende Wendung eintrat und Pergament über Papyrus
obsiegte. Vielleicht war die Eroberung Ägyptens durch die Araber im J. 634 auf diese
Entwicklung nicht ohne Einfluß. Das von den arabischen Handelszentren am ent-
ferntesten gelegene Frankenreich brach am raschesten und entschiedensten mit der alten
Übung, für Urkunden Papyrus zu verwenden: in der merowingischen Kanzlei wurde
Pergament im dritten Viertel des 7. Jahrhunderts kanzleifähig; wahrscheinlich schon
zwischen 659 und 679 ist der Wechsel eingetreten.!) In Italien datiert allerdings der
frühest nachweisbare Gebrauch von Pergament für Urkunden schon aus den zwanziger
Jahren des 7. Jahrhunderts?), aber der weitere Kampf zwischen Pergament und Papyrus
vollzieht sich hier viel langsamer, da — selbst abgesehen von der Kurie, wo die Ent-
scheidung erst im 11. Jahrhundert fällt — auch in Privaturkunden Mailands bis 789,
Ravennas bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts Papyrus vereinzelt zur Anwendung
kommt.?) Allein da in Frankreich, England und Deutschland 4) seit dem 8. Jahrhundert
fast ausschließlich Pergament für Bücher und Urkunden Verwendung findet, und in
Italien und Spanien das Pergament den Papyrus bei weitem überwiegt, bezeichnet man
das 8. bis 13. Jahrhundert mit Recht als die Herrschaftszeit des Pergaments im Schrift-
wesen, bis das Papier eine neue Umwälzung hervorrief.
Aus dem 8. Jahrhundert stammt auch — ein weiterer Beweis für seine allgemeine
Verbreitung — das älteste Rezept für die Herstellung eines guten Schreibpergaments,
das dann in den folgenden Jahrhunderten durch reichliche Nachrichten über die ver-
schiedenen dabei stattfindenden Prozeduren ergänzt wird.5)
Im wesentlichen bestand der Vorgang in folgendem. Die Haut wurde durch einige Tage
in eine Lösung von mit Wasser gelöschtem Kalk gelegt, um die Haare zu lockern, die dann mit
einem scharfen Instrument abgeschabt wurden. Nach einer eventuell nochmaligen Reinigung in
einem zweiten Kalkbade wurde die Haut in einen Rahmen gespannt, getrocknet, mit Bimsstein
geglättet und durch einen Überguß von Kreide für das Schreiben hergerichtet, „kalziniert“®%). Für die
Erzeugung von Pergament waren nur bestimmte Tierhäute geeignet, vorzüglich die von Schafen,
Hammeln, Ziegen und Kálbern.") Ein besonders feines, aber nur selten zu Schreibzwecken gebrauch-
tes Pergament erhielt man aus der Haut neugeborener und ungeborener Lämmer, die sogenannte
charta virginea, non nata, das Jungfernpergament.9?) Die Bevorzugung von Hammelfellen in Italien
und Kalbsfellen in Deutschland hat es mit sich gebracht, daf schon in mittelalterlicher Zeit die
charta teutonica als „deutsches Pergament“ von dem italienischen unterschieden wurde. Doch lag
der Unterschied auch in der Zubereitung begründet, indem in Deutschland auf gleichmäßige Behand-
lung beider Seiten gesehen wurde, während man in Italien nur die Innenseite (album) kalzinierte,
so daß die Haarseite im Vergleich mit der Fleischseite weniger glatt und weiß, eher gelblich oder
grau erschien. Immer aber zeichnete sich das italienische Pergament vor dem deutschen durch Fein-
heit und Dünne aus. Diese wichtige Unterscheidung zweier großer Pergamentarten, die paläogra-
1) Die älteste königliche merowingische Pergamenturkunde datiert vom J. 677 o. 679; vgl.
BRESSLAU, Urkundenlehre I, 883, ERBEN, MIOG. XXVI, 125, Anm. 2.
2) Vgl. Paori-LorMEYER, GrundriB II, 66, Anm. 1.
3) Vgl. BRESSLAU a. a. O. S. 882, 885.
4) Für deutsches Gebiet bildet eine Urkunde von St. Gallen vom J. 731 (736) das älteste Bei-
spiel eines Originals auf Pergament; s. BRESSLAU a. a. O.
5) Vgl. BrassLaU S. 887, WATTENBACH, Schriftwesen S. 207ff., RockINGER, S. 19ff. — In-
teressant ist das von A. E. ScuóNBACH MHV.f. Steiermark, Heft 48, S. 153 aus einer Grazer Handschrift
angeführte Rezept, um dünne Háute zu reinigen, indem man sie auf der Unterlage eines stárkeren
in einen Rahmen gespannten Felles bearbeitet.
6) Eine Kopenhagener Bibelhs. saec. XIIL, die die Pergamentbereitung in einer Reihe von
Miniaturen darstellt, beschreibt A. A. BrógNBo, Ein Beitrag zum Werdegang der mittelalterlichen
Pergamenthandschriften, in der Z. f. Bücherfreunde XI (1907—08), 329—335.
7) Danach führt das Pergament auch die Namen: charta ovina für Schaffell., vitulina für Kalb-
fell-, caprina für Ziegenfellpergament u. ähnl. Im ,Index Perusinus a. 1311 bibl. Bonifatianae“
(s. FRANC. EunrES.J., Historia bibliothecae Romanorum pontificum I (1890), 122, 183) erscheint
Pergament unter dem Namen , pelles sive cartae edulinae (edinae), pecudinae, vitulinae, pergamena
de agninis, pelles yrcorum seu caprarum." In Frankreich unterscheidet man speziellzwischen parchemin
(Hammelfell-) und velin (Kalbfellpergament).
8) Ein Beispiel seiner Verwendung in einer Hs. saec. XIII/XIV. führt an TromesoN, Hand-
book S. 38.