Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

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Erster Hauptabschnitt: Schriftwesen. Zweites Kapitel: Formen der Schriftwerke. 19 
lich nicht durch seine Erzeugungsweise bedingt; man hätte die Blätter auch einzeln 
verkaufen und es den Schriftstellern überlassen können, in welcher Weise sie sie in eine 
„Buchform“ umwandeln würden, ganz SO wie im Mittelalter nie pergamentene 
oder papierene Bücher, sondern nur einzelne Pergament- oder Papierblätter zu Schreib- 
zwecken erhältlich waren. Die Herstellung von Papyrusrollen bedeutet jedenfalls ein 
vorgeschritteneres Stadium, in welchem die Fabrikation der allgemeinen Gewohnheit 
der Schreiber, den Literaturwerken die Rollenform zu geben, bereits Rechnung trug. 
Und unzweifelhaft entsprach dem brüchigen und faserigen Stoff diese Behandlung am 
besten, trotz der Umstündlichkeit, die das Ab- und Aufrollen beim Lesen und Auf- 
suchen von Stellen verursachte, trotz des Verlustes der Rückseite, deren Beschreibung 
doch wohl nur aus diesen Gründen der Unbequemlichkeit und der etwaigen Beschä- 
digung der Schrift auf der Vorderseite unterblieb.!) 
Durch die Rollenform blieb die Schrift vor äußeren Einflüssen geschützt, die Schriftwerke 
erhielten eine einheitliche Gestalt, die sie für bibliothekarische Behandlung geeignet machten. Zur 
Erleichterung des Rollens wurden an einem oder beiden Enden des Werkes Stäbchen (umbilicus) 
angebracht, mit bald mehr bald weniger gezierten Griffen (cornua), durch die das Schiefrollen ver- 
hindert, das Anfassen der Rollen erleichtert wurde. Uralt ist der Buchschnitt, denn schon die Pa- 
pyrusrollen wurden oben und unten mit Bimsstein geglättet und auch gefärbt. Zur äußeren Aus- 
stattung der Rolle gehörten dann noch ein überragendes am oberen Rande angebrachtes Blättchen 
zur Bezeichnung des Inhaltes der Schrift (index oder titulus), die den Verschluß ermöglichende 
Riemenschnur (lora), am verstärkten Blattrand befestigt, sowie die Umhülle (toga), aus stärkerem 
Papyrus, Leder oder sonst einem festeren Stoff. In dieser Vollkommenheit erhaltene Papyrusrollen 
besitzen wir in der lateinischen Literatur nicht mehr, es sind vorzüglich literarische Zeugnisse, denen 
man diese Einzelheiten über das Aussehen der ältesten lateinischen Buchform entnimmt. 
Beschrieben wurde der Papyrus in einzelnen Kolumnen (xôlimpæ), die sich mit 
den Klebungen (plagulae, schedae) deckten, oft aber auch kleiner oder größer als diese 
ausfielen, so daß die Schrift über die Klebestelle hinweglief. Sowohl für die Klebung 
als für die Kolumne wird bei den Römern der Ausdruck pagina gebraucht, der uns ge- 
blieben ist, ebenso wie Kolumne als deren Unterabteilung. Eine Reihe anderer Aus- 
drücke im Schriftwesen leitet sich unmittelbar, wenn auch in veränderter und über- 
tragener Bedeutung von der Papyrusrolle ab. Wie der Name des alten Schreibstoffes 
Papyrus auf den materiell verschiedenen neuen ,, Papier“ übergegangen ist, so erhielt sich 
die ursprüngliche griechische Bezeichnung für Buch überhaupt „ßıßilov“ zur Benennung 
des für das Christentum wichtigsten Buches, der Bibel, für die auch der Name „biblio- 
theca“ das ganze Mittelalter hindurch verwendet wird.?) Die Römer dagegen haben den 
Grundbegriff für Buch, liber, dem Synonymon fiir fifiiov, wie schon bemerkt wurde, 
ihrem einheimischen Schreibwesen entnommen, allein ihr terminus technicus für die 
Rollenform, volumen (von evolvere), ist uns geblieben, ebenso wie der im mittelalter- 
lichen Schreibwesen typische Ausdruck „explicit“ zur Bezeichnung des Buchendes mit 
explicare, dem Ausdruck für das Aufrollen beim Lesen, zusammenhängt. Der Name 
rotulus ist dagegen spätlateinisch und hat besser als volumen die Beziehung auf die Form 
im Mittelalter zu bewahren gewußt (rotula, rottel, roule). Die Bezeichnung für die 
abgeschnittene charta papyracea, für einen Teil einer Rolle, ist tomus, womit später 
allgemein der Teil eines Werkes benannt wird. Ebenso stammen die Worte Protokoll 
1) Das antike Buchwesen ist seit längerer Zeit Gegenstand eingehender Forschung, die einer- 
seits in Tm. Brrr, Das antike Buchwesen in seinem Verhältnis zur Literatur (1882), anderseits in 
K. DzrATZKO, Untersuchungen über ausgewählte Kapitel des antiken Buchwesens (1900) übersicht- 
liche Darstellung gefunden hat. Vgl.ferner DzrATZKOos Artikel , Bibliotheken, Buch, Buchhandel" 
in PAuLYs Real-Enzyklopüdie d. klass. Altertumswissenschaft; Brmr, Die Buchrolle in der Kunst. 
Archüol. antiquar. Untersuchungen z. antiken Buchwesen (1907); dazu Nachtrügliches im J. 
d. deutschen archáol. Instituts X XIII (1908), 112 und W. WEINBERGER, Zum antiken Bibliotheks- 
und Buchwesen, in der Z. f. ósterr. Gymn. 1908, S. 577. — Auch W. SCHUBART, Das Buch bei den 
Griechen und Rômern. Eine Studie aus der Berliner Papyrussammlung (1907), bietet dem Forscher 
neue Gesichtspunkte. 
2) Vgl. die reiche Zusammenstellung bei WATTENBACH, Schriftwesen S. 152 ff. 
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