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B. Bretholz: Lateinische Paläographie.
Das schulmäBig ausgebildete Laienschreibertum, wie es in Rom geblüht hatte,
blieb in Italien wohl auch im weiteren Mittelalter erhalten, wie denn auch das Institut
des italienischen Notariats damit in Zusammenhang steht!); ist zwar die wesentlichste
Betátigung der Notare die Abfassung von Akten und Urkunden, so lassen sie sich doch
auch als Bücherschreiber nachweisen, und eigentliche librarii wird es in Italien neben
ihnen immer gegeben haben. Als aber die Gelehrsamkeit sich nach dem Untergang der
römischen Kultur aus der Öffentlichkeit in die neuerstandenen Klöster zurückgezogen
hatte, wurde das Mönchstum für das ganze Mittelalter der hervorragendste Träger
der literarischen Arbeit. Der geschäftliche Zweck des Bücherabschreibens tritt in diesen
Kreisen in den Hintergrund, man arbeitet in erster Linie für den Bedarf des Hauses
oder aus eigenem Interesse und persönlicher Neigung. Das Bücherschreiben in den
Klöstern hängt unmittelbar zusammen mit dem Aufkommen der Kloster- und Kirchen-
bibliotheken, von denen noch zu sprechen sein wird. Eine ei gentliche durch die Ordens-
regel gebotene Verpflichtung war das Bücherabschreiben in den Klöstern wohl nicht,
es ist inbegriffen in dem allgemeinen Studium. Aber zahlreich finden sich die Er-
mahnungen der Äbte, das Bücherschreiben in den Klöstern zu üben, und die Karthäuser-
regel sieht geradezu in dem Abschreiben der heiligen Schriften einen würdigen Ersatz
für das diesem Orden fehlende Predigen, wenn es in ihr heißt: »libros . . . studiosissime
volumus fieri, ut, qui ore non possumus, dei verbum manibus praedicemus." Nicht
nur durch die große Zahl der erzeugten Bücher, sondern auch durch die Pracht der
Ausführung zeichneten sich viele Klöster aus, doch bleiben uns besonders in den früheren
Jahrhunderten des Mittelalters die Namen der Schreiber zumeist unbekannt. Der
Klostergeistlichkeit tritt seit den Zeiten Karls des Großen die Weltgeistlichkeit bei der
Schaffung von Büchern und Schriftwerken würdig zur Seite; ihre Mitglieder beherrschen
alsbald das Schreibwesen in Ämtern und Kanzleien der Könige und Fürsten, so zwar,
daß das Wort clericus, clerc, clark, pfaff in Frankreich, England und Deutschland
allgemein auch die Bedeutung des gelehrten Schreibers ohne Rücksicht auf seinen
geistlichen oder weltlichen Stand gewinnt. Das Schreiberwesen in den weltlichen und
geistlichen Kanzleien, vor allem in denen der Päpste und Kaiser entwickelt sich dann
allerdings nach ganz anderen Normen als das der Buchschreiber und hängt auf das
engste zusammen mit der Geschichte und Organisation der betreffenden Kanzleien,
deren Erörterung dem Gebiete der Urkundenlehre anheimfällt.
Lange Zeit genügten diese geistlichen Schreibkräfte wohl auch für die bescheidenen
und fast ausschließlich auf religiöse Bücher gerichteten Bedürfnisse der Großen und
Reichen, denen sie ihre Dienste gegen Bezahlung, oder richtiger gesagt Belohnung
zur Verfügung stellten. Erst seit dem 12. Jahrhundert etwa begannen diese Verhält-
nisse eine lebhaftere Gestaltung zu nehmen. Auch außerhalb Italiens tritt der Stand
gewerbsmäßiger Schreiber kräftiger hervor, die Produktion nimmt überall in auffallender
Weise zu und das Interesse an Büchern verbreitet sich in weitere Kreise der Bevölkerung.
Die Gründe liegen in der allgemeinen kulturellen Entwicklung, dem Aufschwung
bürgerlichen städtischen Lebens, das zahlreicher Schreibkräfte bedurfte, dem Über-
greifen der Kenntnis des Lesens und Schreibens auf die Laienwelt, der Ausbildung des
Universitätsstudiums. Denn so imposant sich auch im Zeitalter der Karolinger und
Ottonen die Bücherproduktion in allen Ländern darstellt, vorzüglich auch im Hinblick
auf die Ausstattung der Schriftwerke, — von einem allgemeinen Bücherverkehr und
Bücherhandel konnte nicht die Rede sein. Vor allem fehlte eine objektive Bewertung
der Bücher, Karl der Große konnte wohl für eine Grammatik des Diomedes eine Abtei
herschenken, ein anderer eine ihm wertvoll scheinende Handschrift gegen sein bestes
1) Über das Notariat vgl. PAorr-LomwzvzR III, 971f.