32 B. Bretholz: Lateinische Paläographie.
ältesten Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Archiv und Bibliothek, die ur- | A
sprünglich und geraume Zeit gemeinsam waren, führen im 4. Jahrhundert auf die n
Basilica des heil. Laurentius in Damaso; der nüchste Sitz war der Lateran, der schon W
seit 311 Residenz der Päpste war, allein wann die Übertragung von St. Laurentio dahin F
erfolgte, ist unsicher.!) Erst seit dem Pontifikat Innocenz III. (1198), unter dem für | re
Kanzlei und Archiv neue Gebäude bei St. Peter errichtet wurden, haben sich zusammen- SC
| hängende originale Bestandteile des Archivs erhalten; die Bibliothek dürfte aber selbst H
am Ende des 13. Jahrhunderts nur ganz vereinzelte Stücke, die noch ins elfte Säkulum ui
zurückreichten, besessen haben. li
Dal die pipstliche Biichersammlung schon zur Zeit Gregors des GroBen nicht | St
unbedeutend gewesen sein kann, beweist die Tatsache, daß wiederholt von Rom aus ui
Codiees versandt wurden, besonders in die neubekehrten Lànder, und es kam wohl ül
vor, daB der Papst Ansuchen um solche Geschenke mit dem Hinweis auf die j 9us- be
geleerte Bibliothek“ abschlagen mußte. Besonders im 7. und 8. Jahrhundert könne sh
man — meint DE Ross: — die Bibliothek des apostolischen Stuhles als das Zentrum er
bezeichnen, von wo aus sich die heiligen Bücher über Europa, besonders dessen nórd- SC
liche Länder, ausbreiteten.?) Über den Bestand, der sich nach den Unglücksfällen B
des 11. Jahrhunderts von neuem bei der Bibliothek ansammelte, geben uns einige sc
Bücherverzeichnisse Auskunft, deren ültestes von 1295 aus der Zeit P. Bonifaz' VIIL, Sc
deren zweitültestes vom Jahre 1311 stammt, und die sich von da an in einer langen m
. Reihe von Indizes des Archivs und der Bibliothek fortsetzen.) Danach urteilt man, M
daß die Vatikanische Bibliothek im 13. Jahrhundert mit ihren siebenthalbhundert
Bänden zu den bedeutendsten und reichhaltigsten gehört hat und vielleicht nur von
der der Christuskirche zu Canterbury, die zu gleicher Zeit etwa 700 Bände zählte, und a
von der Sammlung in der Pariser Sorbonne, die nach dem Index von 1338 eine Ziffer Uk
von 1720 Volumina aufweist, übertroffen wurde.‘) Doch ist dabei zu berücksichtigen, de
daß, wie schon erwähnt, die apostolische Bibliothek des 13. Jahrhunderts eine neu
angelegte Sammlung darstellt, auf die aus den alten Schätzen fast nichts über- lj
kommen war. f e
Doch auch die Bonifatianische Bibliothek ging nach der avignonensischen Zeit im
zum größten Teil zugrunde und erst unter P. Nicolaus V. (1447—1455) wurde durch x
Bau, durch Herstellung von Abschriften und durch eine in großem Maßstab durch- ; |
geführte Büchersammlung der Grund zur modernen Vatikanischen Bibliothek gelegt.5) ; m
Unter seinem Nachfolger Sixtus IV. erfolgte nach der Vollendung des Neubaues im >
Jahre 1475 die räumliche und administrative Trennung der Bücherhandschriften, :
welche fortan die Bibliotheca publica bildeten, von dem Urkundenmaterial, von dem u
ein Teil wenigstens gleichfalls im Vatikan untergebracht fortan als Bibliotheca secreta
bezeichnet wurde, denn die Vereinigung des gesamten Urkundenschatzes vollzog sich >
erst im Verlaufe der Neuzeit und erst nach der baulichen Errichtung des heutigen
vatikanischen Archivs unter P. Paul V. (1612). th
Neben dem Papsttum ist es das Ordenswesen und Mónchstum, dem das Haupt- di
verdienst an der Schaffung von Büchersammlungen und ihrer planmäßigen dauernden e
E lt. au
1) Vgl pE Rossr p. XLV; BnzssLAU sagt S. 123: Mit Bestimmtheit kann man annehmen, di
daB das Archiv im J. 649 im Lateran war. 2) Vgl. pz Rossr a. a. O. S. LXXIII. —
3) Den Index von 1311 druckt P. EumgrE S. 24—116 ab; er ist unter anderem auch wichtig
durch die genaue Beschreibung der Handschriften, bei denen nicht nur Inhalt und eventuell Autor, th
sondern auch Schriftart, Schreibstoff, Form, Ausschmiickung, Incipit u. a. m. angefiihrt werden. be
4) Vgl. Eunrz S. 117.
9) Uber Bau, innere Einrichtung und alle damit zusammenhüngenden Fragen vgl. die ausführ-
liche Darstellung bei Crark S. 202ff. — Über die Art der Biichersammlung vgl. G. Vorar Die we
Wiederbelebung des klass. Altertums II, 205ff.; L. Pastor, Gesch. der Päpste I, 417.