42 B. Bretholz: Lateinische Paläographie. 7 we
Es ist selbstverständlich, daB der Druck, der eben damals aufkam, als diese um“
beiden Schriftarten, die gotische Minuskel und die regenerierte karolingische Minuskel, and
in Gebrauch standen, sich beide Arten zu eigen machte. Die gotischen Lettern wurden zum
anfangs unterschiedslos für Druckwerke, wie in den germanischen so in den romanischen lei
und slawischen Ländern verwendet, neben denen sich aber bald die lateinischen Typen
einbürgerten; so entwickelte sich einerseits die deutsche Buchschrift oder Fraktur, Mon
anderseits die lateinische oder Antiqua. Die Druckschriften übernehmen fortan die Schi
Rolle der kalligraphischen unverbundenen Schrift, während die Kursive die Schreib- | und
Schrift im eigentlichen Sinne des Wortes darstellt. mon
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Zweites Kapitel: geke
Die lateinisehe Majuskelschrift bis zur Wende des 3. und 4. Jahrhunderts. Hau
Wenn wir die Sehriftbilder miteinander vergleichen, die etwa ARNDT-TANGL SOC
auf Blatt 31, sub a—e, zusammenstellt, und die alle aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. For
stammen,! wozu etwa noch eine Marmorinschrift gleicher Zeit hinzugefügt werden Km
móge, oder wenn wir die Tafeln 7, 8 und 9 bei STEFFENS nebeneinander halten, die orm
benachbarten Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts angehóren,?) dann gewahren wir Unter- r^
schiede bedeutsamster Art, die aber nicht durch künstlerische, sondern durch technische e À
Ursachen begründet erscheinen. Es ist die Verschiedenheit des Schreibstoffes — Stein, ms
Erz, Papyrus, Wachs — die hier die Schriftgestaltung in erster Linie beeinflußt. Wer die
mit Stichel die Buchstaben in harten Stein eingräbt, bevorzugt die gerade Linie, die
dem Schreiber auf Papyrus weniger bequem ist; und wenn der Griffel auf Wachs, der as
Stift oder Pinsel auf der Mauer auch leicht Biegungen hervorbringt, so meidet er doch
gern scharfe Ecken. Das Absetzen ist für den Schreiber auf Stein ebenso selbstver- die :
ständlich, wie auf anderen Beschreibstoffen und mit anderen Schreibinstrumenten die und
Neigung, den einzelnen Buchstaben in einem Zug zu formen, aufeinanderfolgende ge J
Buchstaben zusammenzuziehen. Dort sind der Geläufigkeit des Schreibens natürliche | hauy
Grenzen gesetzt, hier hindert nichts, sie mit Hintansetzung jeder Sorgfalt bis zur Bucl
Schleuderhaftigkeit zu treiben. Diese zwei Grundarten verfolgen wir zu allererst an ne
den Monumenten. | schri
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$ 1. Epigraphische Kapitale. di
Die Schrift der römischen Denkmäler, die wir zurückverfolgen können bis ins
6. oder 5. Jahrhundert v. Chr.?), leitet sich unmittelbar ab von der griechischen Schrift
der chalkidischen Kolonien. Doch veränderte sich das griechische auf die lateinische ,
Sprache übertragene Alphabet im weiteren Verlaufe durch Ausscheidung einiger und
Hinzufügung neuer Buchstaben mehrere Male und behielt schlieBlich seit dem letzten
vorchristlichen Jahrhundert nach Aufnahme von Y und Z für die ganzen weiteren
Perioden einen Bestand von dreiundzwanzig Buchstaben: A4BCDEFGHIKLMNO
PQRSTVXY Z5); denn die von Kaiser Claudius versuchte Vermehrung des Alphabets
1) T. 31a: Wachstafel aus Pompeii a. 56. Rómische Kursive. — 31b: Papyrusfragment aus
Herculanum, a. 31—79. Kapitale. — 31c: Mauerinschrift aus Pompeii vor 79. Kapitale mit Kursiv-
elementen. — 31d: Mauerinscehrift aus Pompeii vor 79. Kapitale mit Kursivelementen. — 31e: TET
Mauerinschrift aus Pompeii vor 79. Kapitale.
2) T. 7: Marmorne Weihinschrift, saec. IT. in. Kapitale. — 8: Wachstafeln aus Vorospatak, ada
= 142. Altere rómische Kursive. — 9: Papyrusfragment mit Kaufkontrakt, a. 166. Altere rómische des
U^ Vgl. SrErFENS T. 1, Erläuterungen. (nicl
4) Vgl. E. HüBNER, Róm. Epigraphik in J. MüLLEr, Hdb. d. klass. Altertumswissenschaft,
I, 646ff.; W. S. TEurrEL, Gesch. d. Róm. Litt. (5. Aufl), S. 142, 2006. auf