Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

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Zweit. Hauptabschn.: Entwickelung d.lat. Schrift. Zweit. Kap.: Die lat. Majuskelschrift usw. 43 
um drei neue Lettern — digamma inversum für konsonantisches V, antisigma für PS 
und ein drittes Zeichen für einen Laut zwischen i und u — war nicht von Dauer. Bis 
zum heutigen Tage haben sich die Grundformen dieser Buchstaben in unserem groben 
lateinischen Alphabet erhalten. 
Die grundlegenden Forschungen HüeNERs über die Schrift der lateinischen 
Monumente!) haben gezeigt, daB entsprechend den beiden ihrem Wesen nach ver- 
schiedenen Gattungen von epigraphischen Schriftdenkmälern, den Aufschriften (tituli) 
und den Urkunden (acta), auch zwei Schriftweisen zu unterscheiden seien, die ,scriptura 
monumentalis (quadrata)“ und die ,scriptura actuaria“. Sowohl bezüglich ihrer An- 
wendung wie auch ihrer Eigenart läßt sich eine deutliche Scheidung begreiflicherweise 
nicht vornehmen; auch Aufschriften sind gelegentlich in scriptura actuaria und um- 
gekehrt Urkunden in scriptura monumentalis niedergeschrieben worden. Aber in der 
Hauptsache charakterisiert sich die erstere durch die Größe, RegelmäBigkeit und 
sorgfältige Ausführung, die letztere durch ihr kleineres Kaliber, die leichtere und freiere 
Formengebung. Im ersten Falle ist die Schrift ein Akzedens zu dem bereits bestehenden 
Kunstwerk, dem sie sich möglichst anzupassen suchen muß; im anderen Falle steht 
der Inhalt des Geschriebenen im Vordergrund, die Inschrift verfolgt vor allem den Zweck, 
daß das durch sie Verlautbarte ,ohne Umstünde richtig gelesen werden könne“, wie 
es in einem dieser Denkmäler ausdrücklich heift.? Es dürfte besonders in älterer 
Zeit zwischen den beiden Schriftarten kaum ein wesentlicher Unterschied bestanden 
haben; aber allmählich vollzog sich in den Buchstabenformen doch eine Umgestaltung, 
die nicht zuletzt durch den Beschreibstoff mit verursacht wurde, denn wie für die 
scriptura monumentalis der Stein, der Marmor, so bildete für die scriptura actuaria 
das Erz die Unterlage. 
Es würde zu weit führen, hier im einzelnen die kleinen Veränderungen zu verfolgen, die 
die altrömische Kapitale in den genannten beiden Hauptformen erfahren hat. In übersichtlicher 
und anschaulicher Weise ist dies für die Zeit von Augustus bis Konstantin durchgeführt durch 
die Zusammenstellung von 18 Alphabeten — 12 für die scriptura monumentalis, die übrigen für 
die scriptura actuaria — in dem genannten Werk HümsNERs (p. LXXIX). Es handelt sich dabei 
hauptsächlich um die mehr oder weniger strenge Einhaltung des Prinzipes, nach welchem jeder 
Buchstabe sich der quadratischen Grundform anpaBte, E M (X, um die straffere oder freiere Be- 
handlung der Scháfte einerseits, der Rundungen anderseits, um die Formung der Balken bei den 
Buchstaben E F LT, sowohl in bezug auf Ausdehnung (lang oder kurz), als Richtung (gerade, 
schräg nach oben oder nach unten), um die Erhöhung gewisser Buchstaben, wie -EF'T-. über das 
gewöhnliche Buchstabenmaß, um die Stellung und Richtung der Traverslinien bei À H N, die Aus- 
gestaltung der Cauda bei G Q E und #hnliches.?) Drei Beispiele daraus mögen zur allgemeinen 
Illustrierung der in Betracht kommenden Punkte dienen. 
ABCDEFGHILMNOPQRST V A 
Alphabet der seriptura monumentalis aetatis Augustae (HUBNER nr. II). 
ABCDEFGHILMNOPQRSTVX 
Alphabet der scriptura actuaria aetatis Augustae (HÜBNER nr. XIIT). 
ACETUM ROBOLRSTU 
Alphabet der scriptura actuaria aetatis Hadrianae (HÜBNER nr. XVI). 
1) Azw. HuEBNER, Exempla scripturae epigraphicae latinae. A Caesaris dictatoris morte 
ad aetatem Justiniani. — Berol. MDCCCLX XXV, p. XXIIff. Ferner K. KónnazER, Neue Inschriften 
des Mainzer Museums. Mainz 1905 (mit über 100 Abb. Kapitale und Kursive saec. I.—X.). 
2) ,unde de plano recte legi possit", HÜBNER a. a. O. p.. XXIII nach CIL. I, nr. 206 
(nicht 200), p. 120, v. 13. 
3) HOBNER bietet auf p. LIIIff. eine Geschichte jedes einzelnen Buchstaben mit Rücksicht 
auf seine Formentwicklung in der epigraphischen Schrift. 
 
	        
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