44 B. Bretholz: Lateinische Paläographie. Boalt
Zwei Schreibeigentiimlichkeiten, die bereits in der epigraphischen Kapitale in
vollster Ausbildung hervortreten, haben fiir die ganze weitere Schriftentwicklung
Belang: Kompendien und Sigel.
Die Verbindung zweier und auch mehrerer Buchstaben miteinander derart, werk
daB sie an- oder ineinander (litterae implexae) Q? I9, übereinander (l. columnatae) Wert
Ó, TT, hinein (l. insertae) IN@PT, oder verschränkt (l. contiguae) Ai geschrieben den
werden, nennt man Komypendien, Ligaturen. Der ältesten Monumentenschrift sind die e
diese nexus literarum noch fremd, sie beginnen hier nicht vor dem zweiten vorchrist- in ei
lichen Jahrhundert und beschränken sich zunächst auf das Zeilenende; in nachchrist- Einb
licher Zeit entwickeln sie sich in den Inschriften in einer Mannigfaltigkeit, wie sie daue
für andere Schriftdenkmäler kaum je in Verwendung gekommen sind. (HUBNER, seine
p. LXVIII. |
In mehr gesetzmüDiger Weise hat sich ferner in Münzlegenden und Inschriften | ^ Holz
ein Abkürzungssystem ausgebildet, indem bestimmte Worte, vornehmlich Vornamen, oder
Amtstitel, oft wiederkehrende Ausdrücke und formelhafte Wendungen durch ein unse
Sigel (singulae), d. h. durch den ersten oder die ersten Buchstaben des betreffenden | de k
Wortes gekürzt werden: A: für Aulus, C- für Gaius, CN- für Gnaeus, P-R- fiir populus = 31v
Romanus, COS- für consul, A-D- für ante diem, T-F-C- für testamento faciendum Erzt
curavit. Einen weiteren Fortschritt bildet die Silbenkürzung, wie AV GTI S- für augustis, Stüc
FECR- oder FC- für fecerunt; die Kürzung durch Verdoppelung des Buchstaben mar]
zur Bezeichnung des Plurals, wie CO,SS- für consules, DD-NN: für domini nostri, Quit
die Anwendung umgekehrter Lettern zur Bezeichnung des weiblichen Geschlechts uns «
F für filius, 7 für filia, 4 für puella. und
Diese Abkürzungen erfordern Interpunktionszeichen, die in der áltesten Zeit | Einc
aus dem runden, vier- oder dreieckigen Punkt bestehen und in augusteischer Zeit habe
die verzierte Form kleiner Efeublätter annehmen (hederae distinguentes). Auch sonst wie
finden sich auf den Inschriften zwischen Buchstaben, Silben und Wörtern, am Zeilen- | Balk
ende und zwischen den Versen von Gedichten Punkte und andersgeformte Schluß- | Ges:
und Trennungszeichen, allein ein geregeltes Satzinterpunktionssystem kennt die spiel
Schrift der Denkmäler nicht. (HÜBNER, p. LXXIV.) der
Trotz der größeren Widerstandskraft, die die epigraphischen Schreibstoffe der | schr
natürlichen oder absichtlichen Zerstörung entgegensetzten, reicht das Material an Pro:
römischen Inschriften nur mit vereinzelten Stücken, deren genaue Datierung überdies
Schwierigkeiten macht, in die früheren Jahrhunderte zurück. In größerer Anzahl | una
haben sie sich erst seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. erhalten; sodann und insbesondere . For
in der Kaiserzeit schwillt ihre Menge an.!) Die Glanzzeit für ihre Ausbildung nach der neh
technischen und paláographischen Seite bildet die augusteische Periode. Aber schon der
in der flavischen Zeit erfolgt ein Rückgang, dem im 2. Jahrhundert, unter Nerva, ihre
Trajan und Hadrian, ein neuer Aufschwung folgt. Demgegenüber zeigt das 3. Jahr- Lin
hundert in unmittelbarer Nachwirkung des Verfalles der Steinmetzkunst überhaupt GE,
auch eine starke Nachlàssigkeit in der Denkmalschrift, so da) damals der Unterschied Ziel
zwischen scriptura monumentalis und actuaria sich immer mehr verwischt. Erst die Lin
Zeit Diocletians und Konstantins gewinnt in dem Bestreben, die alten Werke wieder es ]
herzustellen und nachzuahmen, Sinn und Verständnis für die Schönheit der Schrift rec}
und erneuert jene klassischen Formen, die ihr die Beispiele aus dem 1. Jahrhundert
in so reichem Maße darboten. Damit erreichen wir aber bereits jene Epoche, in der das
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lateinische Schriftwesen auch auf anderem Boden als der Denkmalschrift eine erste TE
Renaissance erfahren hat. | Nr.
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1) Das Hauptwerk bildet das noch im Erscheinen begriffene , Corpus Inscriptionum Lati-
narum", dal