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Zweiter Hauptabschn.: Entwickelung der lat.Schrift. Drittes Kap.: Die Buchschriften usw. 51
artige Abkürzungsstriche: M' (mus), P" (pos-, post), Q« (quia), Z (quod), 7" (tur). Ein einheitliches
System läßt sich aus den Quellen, die uns vorliegen, nicht mehr erkennen, vielmehr beobachtet
man, daß ebenso ein und dasselbe Wort auf mehrfache Art gekürzt werden kann (7, F, 1-, HO, 107
für licet), wie daB eine und dieselbe Kürzung mehrfache Bedeutung haben kann: X für non, nec,
nobis; B- für bus, bis, ber, woran aber wie bei JY die allmühliche Verundeutlichung der ursprüng-
lichen Form Schuld tragen kann. Es tritt mit der Zeit jene signorum dubietas und siglorum ob-
scuritas ein, gegen die Kaiser Justinian wenigstens bei Gesetzestexten entschiedene Einsprache erhob.
Mit der Häufigkeit der Kürzungen korrespondiert dann auch die reichliche
Anwendung von Ligaturen, von denen N,IR, U (nt, ur, us) besonders gern gebraucht
werden.
Das zweite Moment, das Eindringen von Minuskelbuchstaben, richtiger gesagt
das Umwandeln der Majuskelform der Buchstaben in eine Minuskelform, tritt deut-
licher als in der Gaiushandschrift!) in jener der Pandekten, besonders in den nach
MommsEns Bezeichnung von der „zwölften Hand“ geschriebenen Abschnitten hervor.
Die Buchstaben Fj Q, P, R zeigen deutlich ausgeprügte Unterlàngen, D, H, L reichen in
ihrer von der Majuskelform abweichenden Gestalt stark über die obere Linie; die Bogen von AZ, P,
die Ovale des Q füllen den ganzen Raum zwischen den beiden Linien aus, die Cauda von R wird
unter der Zeile als kleines Schwänzchen angehängt, oft verschmelzen aber auch Bogen und Cauda
zu einer Linie. B in den älteren Partien noch regelmäßig majuskel geschrieben, verliert bei der
Hand 12 oft den oberen. Bogen, so daß es gleichfalls bereits als Minuskel-b erscheint. Nicht minder
prágt sich dieser Charakter bei D. M und S aus; — unzweifelhafte Anzeichen einer weiteren Schrift-
entwicklung, die zu neuen Schriftarten führt.
Aber wie die Kapitale ist auch die Unziale nicht nur nicht beseitigt worden,
sondern ihre Eleganz und Schönheit sicherte ihr auch späterhin, wenn auch in be-
scheidenerem Maße als in diesen Jahrhunderten, einen dauernden Platz in der Schrift-
entwicklung.
$ 3. Die Halbunziale.
Die Majuskelhandschriften, sowohl die in Kapitale, die sich unmittelbar an die
Schrift der Steindenkmäler anlehnte, wie auch die in Unziale, die im Gegensatz zur
Denkmalschrift als Buchschrift gedacht war, zeigen einen nicht nur dem modernen
Auge, sondern dem Buchschriftwesen überhaupt fremdartigen Charakter: es sind im
wesentlichen doch geschriebene Monumente. Das Buch, das Blatt erheischt im allge-
meinen weder die imposante Größe, die der Majuskelbuchstabe grundsätzlich hat,
noch eignen sich diese gleichmäßig aneinander gereihten Buchstabenbilder für rasches
und fließendes Lesen. Der Verbrauch an Schreibstoff für ein literarisches Werk jener
Art war ungemein groß, die Mühe, der Zeitaufwand bei aller Geschicklichkeit der
Schreiber jedenfalls bedeutend. Anderseits war aber der Unterschied dieser Buch-
schriften gegenüber der gleichzeitig in Übung stehenden Kursive zu auffällig, als daß
man dieser letzteren eine ebenbürtige Stellung neben jenen eingeräumt hätte. Berück-
sichtigt man ferner das der Schule innewohnende treue Festhalten an der Überlieferung,
so wird es verständlich, warum nur so langsam und erst in jahrhundertelanger Ent-
wicklung ein Ausgleich zwischen Buchschrift und Geschäfts- oder Bedarfsschrift
eintrat, die erstere nur allmählich aus der Schriftweise des gewöhnlichen Lebens das
Element der Vereinfachung und erhöhten Geläufigkeit sich aneignete.
In diesem Prozeß gebührt der Halbunziale eine wichtige Rolle.
Neben der Kapitale und Unziale entwickelte sich seit dem 5. Jahrhundert eine
Schriftart, die nicht mehr wie jene beiden einen einheitlichen Charakter aufweist,
sondern von Anfang an Elemente aller Schriftarten, die in Gebrauch standen, der
1) STUDEMUND hebt in dieser Hinsicht nur die beiden Buchstaben d und 7 hervor. — Unziale
mit Minuskelformen stark gemischt soll auch die Ravennater Hs. mit Werken des h. Ambrosius,
die man dem 5. Jahrh. zuschreibt, zeigen. Vgl. JBG. 1884, II, 357, sub 10.