Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

  
  
   
60 
  
B. Bretholz: Lateinische Palüographie. 
in unzialer und in vorgeschrittenerer halbunzialer Schrift niedergeschrieben waren.) 
Auf dieser Grundlage, ‚beeinflußt höchstens von der heimischen ursprünglichen Schrift, 
bildete sich im Verlaufe des 6. Jahrhunderts ein eigenartiger Typus der Halbunziale, 
den wir heute als irische Schrift bezeichnen. Ein älterer Name, der im Mittelalter für 
insulare Schrift überhaupt angewendet wurde, später aber verloren ging und seit 
MABILLON durch „scriptura Saxonica“ ersetzt wurde, ist „scriptura Scottica“, da man 
unter Scotti die irischen Mönche begriff. Der ursprüngliche irische Name dürfte aber 
„litterae tunsae (tonsae)“ gewesen sein, so daß die Einbürgerung des Wortes „Tonsa“ 
für „irische Schrift“ in der Paläographie guten Grund hätte.?) 
Die Eigentümlichkeiten der irischen Tochter- gegeniiber der halbunzialen 
Mutterschrift sind, soweit sie sich auf die Formung der einzelnen Buchstaben be- 
ziehen, nicht leicht in Worte zu fassen. Charakteristisch ist eine Verstärkung der Ober- 
schäfte an der äußersten Spitze durch dreieckige Ansätze, dann die geringe Erhöhung 
und Verlàngerung der Scháfte überhaupt,?) die eigenartige Ausbiegung der Schäfte 
bei b und /, die stark ausgebildeten Rundungen. Damit kommen wir aber bereits auf 
eine Unterabteilung. TuowPsow unterscheidet in der irischen Schrift zwei Gattungen, 
die runde und spitze, ,the round and the pointed Irish writing". Doch liegt der 
Unterschied in nichts anderem, als daB die spitze Hand eine Modifikation der runden 
darstellt, mit derselben Form der Buchstaben zwar, aber mit der Eigentümlichkeit 
einer seitlichen Zusammendrückung und des Abschlusses der Schüfte durch Punkte 
oder Strichlein. 
Das älteste Beispiel, das THoMmpson für die runde Hand, die naturgemäß der spitzen vor- 
ausgeht, anführt, ist das Dubliner Evangelienfragment aus dem Ende des 7. Jahrhunderts, das 
aber ebenso als irische Halbunziale bezeichnet werden kónnte, so verschwindend sind die Unter- 
schiede.®) Das typische Beispiel bildet erst das „Book of kells", ein Evangelienmanuskript der 
Dubliner Bibliothek, gleichfalls aus dem 7. Jahrhundert, obwohl es früher mit dem h. Columban 
(+ 507) in Zusammenhang gebracht wurde; „die schönste Handschrift von irischer Hand“ %. Neben 
der kalligraphischen Ausgestaltung der Schrift bewirkt den fremdländischen Eindruck die eigen- 
artige Ornamentierung, die einen selbständigen Charakter hat. Schon hier kann die sonderbare 
Umtupfelung der Initialen erwähnt werden, weil sie nur in irischen oder auf irischen Einfluß 
zurückgehenden Handschriften vorkommt. 
Die runde Hand in ihrer Schwerfälligkeit, sorgsamen Zeichnung, Breite und 
Größe ist die Buchhand par excellence, neben der sich notwendig eine kursive Schrift- 
form für das geschäftliche Schreiben ausbilden mußte. Diesem Zwecke entsprach die 
sogenannte ,spitze Hand". 
Die ältesten Beispiele ihrer Anwendung zeigen sich auf einigen Seiten des » Book of kells", 
die älteste datierbare Handschrift in dieser Schriftform ist das „Book of Armagh“, enthaltend u. a. 
das Neue Testament, und geschrieben von Ferdonmach, der 844 gestorben ist. 
Diese Schriftweise nahm dann in Irland im 11. und 12. Jahrhundert ihre end- 
gültige stereotype Gestalt an’), und es ist gewiß von hohem Interesse, von THOMPSON 
1) THomesoN, S. 236, nimmt an, daB die bei weitem größte Zahl der von den römischen 
Missionären nach Irland mitgebrachten Handschriften halbunzialen Charakter hatte, beziehungs- 
weise daß „there was an unusually scanty number of uncial MSS. among the works thus imported“, 
weil sonst das Fehlen irischer Handschriften in Unziale nicht verständlich wäre. Es schiene mir 
übrigens nur folgerichtig, daß die Entwicklung an die sowohl zeitlich, als auch der Form nach 
vorgeschrittenere Schriftart anknüpfte. 
2) Die Nachweise über die Terminologie s. bei L. TRAUBE, Perrona Scottorum in SB. Münch. 
Ak., phil.-hist. Kl. 1900, S. 529ff; — Über litterae tonsae in Papsturkunden vgl. L. DELISLE, Les 
litterae tonsae à la chancellerie romaine au XIII. siécle in BÉCH LXII (1901), 236ff. 
3) Vgl. z. B. SrErrENs T. 42a v. J. 800 oder T. 50 der 2. Aufl, s. IX, in.; Mon. pal. Ser. I, 
Licf. XVII, T. 5. 4) A. a. O. S. 937. 
5) Ein gutes Beispiel dieser irischen Halbunziale bietet SrErFENS T. 24a (26a), ein Blatt aus 
dem Antiphonar von Banchor, das von dort nach Bobbio gekommen sein soll (h. in Mailand) und 
zwischen 680 und 691 geschrieben ist. 
6) Vgl. STEFFENS T. 30 der 2. Aufl. 
7) Ein Beispiel irischer Spitzschrift v. J. 1138 s. STEFFENS T. 83a der 2. Aufl. 
  
Zwel 
zu h 
flüss 
„die 
der . 
eiget 
flu 
danr 
dem 
Fran 
die € 
des | 
in Ci 
stan 
Lind 
iriscl 
mah 
male 
den 
sche: 
erste 
Eva 
aber 
und 
lasse 
sie il 
von 
Sehri 
(fehlt 
(Kirc 
u. 53 
Prov 
  
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.