Full text: Lateinische Paläographie (Band 1, Abtlg. 1)

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Zweit. Hauptabschn.: Entwick. d.lat.Schrift. Sechst. Kap.: Die Fortentwick. d. röm. Kursive usw. 73 
Die Kuriale gilt im allgemeinen als eine breitspurige, Rundungen und starken 
Ausbiegungen sich zuneigende Schrift. Dieser Charakter ist deutlich auch daran zu 
erkennen, daß für die Hervorhebung bestimmter 
Schriftzeilen, wie das in allen feierlichen Urkunden 
üblich ist, ganz besonders breit gezogene und 
auffallend gerundete Buchstaben gleichsam als 
Steigerung des gewöhnlichen Schriftzuges an-  , L^ i ~ 
gewandt werden.!) Hierzu tritt die Verlänge- X (S XN. Y 
rung der Ober- und Unterschäfte, die ein ! 
grofes Spatium zwischen den einzelnen Zeilen 
o — 
bewirkt, — drei Momente, die den älteren 
Papstprivilegien ein besonders stattliches Aus- | 
sehen verleihen. J 
Im einzelnen ist dann eine Anzahl von Buchstaben charakteristisch. Vor allem a, das oft 
griechischen c oder lateinischen w vergleichbar ist; das an die kursive Form gemahnende e mit 
Oberlänge und langer Zunge, den unteren Bogen aber oft zu o abrundend; das eigenartige f, bei dem 
Balken und Schaft in einem Zuge gemacht werden, so daB der Schaft sich in eine o- Linie umwandelt 
—; die Kursivverbindungen £i, e£, £e sind in der alten Weise gemacht. Nicht minder kenntlich ist 
die Kurialschrift an der Letter g, einer unschönen auffallend groß in der Ober- und Mittellänge ge- 
zogenen geschwungenen und gewundenen Linie; ähnlich starken Schwung zeigt die Cauda von g, 
an die sich links ein Halbbogen anlegt. Der Buchstabe r steht in ülterer Zeit ebenso wie s auf der 
Linie, später wird er tief unter die Zeile gezogen und mit krüftigem eckigen Ansatz die Cauda ange- 
fügt, besonders in der Kursivverbindung ri; bei p ist wenigstens seit dem 10. Jahrhundert eigen- 
tümlich die hakenfôrmige Umbiegung der Unterlänge nach rechts, bei f die schräge und meist an 
der oberen Mittellinie endende Ansatzlinie, wührend f stark ausbiegende Oberlànge zeigt. Als Kursiv- 
schrift bindet sich die Kuriale allerdings nicht an stets gleichartige Buchstabenformen, und be- 
sonders in Kursivverbindungen treten verschiedene Varianten auf. Die Kursivverbindungen selbst 
sind zwar nicht mehr in jener überwuchernden Buntheit, wie sie die rómische Kursive verwendet, 
aber noch immer gern gebraucht. Vorziiglich konstatiert man — nach Kear — die Ligaturen ae; 
c mit e, 4, £; e mit c, g, 4, m, n, D, 7, SH 4 2; f mit à w; li; op; r mit e, 4, o, t; 8 mit c, e, /; 
t mit à 06.4, 2, t, g, r.3) 
Die Modifikationen der Schrift im Verlaufe des 10. Jahrhunderts, die ja trotz 
Tradition und Schulgebrauch nicht ausbleiben kónnen, sind ungemein schwach; so 
konstatiert KEHR, daß am Ende des 9. Jahrhunderts ein freierer Duktus Platz zu 
greifen scheine, derart, daß die „alten Formen leichter und eleganter erscheinen, die 
geraden und steilen Unterlängen einen gewissen Schwung erhalten, indem sie nach 
rechts umgebogen werden; die ganze Schrift ist nicht mehr so künstlich breit wie früher“ 
(S. 12). Von der Schrift der Privaturkunden, wie sie sich an der Sammlung des reichen 
Materials von S. Maria in Via lata verfolgen läßt, sagt HARTMANN ausdrücklich und 
die Schriftbilder bestätigen es, daß sie sich mit der Bullenschrift deckt.®) 
Von größter Bedeutung wurde für die Kuriale das 11. Jahrhundert, die Zeit, 
in der auch für sie der Kampf gegen die die Alleinherrschaft beanspruchende Minuskel 
beginnt, in dem sie ebenso wie die anderen Schriftarten, die nur lokale oder provinziale 
Bedeutung errangen, unterlag. Wohl bei keiner anderen Schrift 1äßt sich aber dieser 
Widerstreit so im einzelnen verfolgen, nirgends sind die Ursachen, durch die Kampf und 
Sieg bedingt waren, so umstündlich klar gelegt worden, wie bei der Kuriale. 
DaB in Rom die sogenannte Minuskelschrift des Frankenreiches, die wir noch 
kennen lernen werden, im 10. Jahrhundert schon geschrieben wurde, dafür gibt es 
1) Vgl. das oben wiedergegebene Wort ,Paschales" aus dem Privileg von 819 (Spec. T. 1). 
2) Außer den schon genannten Tafeln vgl. man die Zusammenstellung von Papsturkunden 
saec. IX—XII bei SrEFFENS Suppl. T. 27—58 T. 52—62 (P. Johann VIIL v. J. 876), 07, fehlt 
in der 2. Aufl. (P. Sylvester IL. v. J. 999), 61—73 (P. Alexander II. v. J. 1071), 63— 76 (P. Paschal 
II. v. J. 1102). Reiches Material bieten auch die Mon. graph., s. das Verzeichnis in Lief. X. 
ARNDT-TANGL T. 86 bietet eine rómische Notariatsurkunde in Kuriale v. J. 1158. 
3) S. XXII: Neque dubium est, quin scriptura chartarum nostrarum eadem sit, quae in bullis 
pontificalibus adhibebatur. 
 
	        
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