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B. Bretholz: Lateinische Paläographie.
Die spanischen Handschriften vom 6. und 7. Jahrhundert*), die ältesten, die ihrer
Provenienz nach dahin gehóren, weisen eine der rómischen Kursive durchaus verwandte
Schrift auf, schwer leserlich zufolge UngleichmàDigkeit, zahlreicher Kursivverbindungen
und damit zusammenhàngender Formverschiedenheit der Buchstaben.?) Aber auch
hier vollzieht sich schon im 8. Jahrhundert der Fortschritt zu gróDerer Regelmáfigkeit,
besserer Worttrennung, Einhaltung des Zeilenschemas und Auflósung der Ligaturen.
Es herrscht nunmehr bis gegen Ende des 10. Jahrhunderts eine kleine, gedrángte, steile,
fast linksgewendete, mit vielen kursiven Elementen durchwobene Buchschrift vor, die
charakterisiert wird durch einige nur der westgotischen Schrift eigentümliche Buch-
stabenformen.3)
Neben dem unzialen A, das am Anfang und Ende der Worte und in der Verbindung ae vor-
kommt, überwiegt bei weitem die offene a-Form, von u nur zu unterscheiden, weil es einen Ausstrich
hat, der die Verbindung zum folgenden Buchstaben herstellt, während wu eckig abbricht.*) Nicht
selten erscheint auch in reiner Buchschrift das hochgestellte a vor m, n u. a.°) Ohne auf die vielen
der Kursive entlehnten Buchstabenformen nochmals einzugehen, wie das gestürzte c, das aufgesetzte
e, offenes p und q, heben wir von charakteristischen L ttern besonders hervor das unziale g, dessen
Vorkommen mit auffallender Konsequenz durch die Jahrhunderte hindurch verfolgt werden kann;
es besteht aus offenem Bogen innerhalb der Mittellinien und daran sich anschlieBendem, lang her-
abgezogenem geraden Schaft: 4.9) Ebenso stándig erscheint die Form des £ mit nach links ausgebil-
detem Bauch und stark entwickeltem, oft in eine punktartige Verdickung endigendem Balken nach
rechts; daneben sind aber die üblichen Kursivverbindungen mit gestür,tem t, mit Doppelschlinge
u. ähnl. in Übung. Die Schaftentwicklung bei den Buchstaben mit Oberlüngen ist sehr mannigfach;
früher steif und gleichmäßig stark, zeigen sich im 9. und 10. Jahrhundert deutliche Verdickungen"),
seit dem 10. Jahrhundert kleine Ansatzlinien.?) Die Unterlüngen sind im allgemeinen nur bei wenigen
.Buchstaben stark entwickelt, so bei f, r und f, doch stehen auch sie oft auf der Zeile und sind nur durch
die Kopfbildung zu unterscheiden.?)
Im 10. und 11. Jahrhundert bieten sich uns zum weitaus gróBten Teil nur korrekt,
deutlich und kalligraphisch ausgeführte Handschriften, die noch durch Initialen und
Ornamente verschónert werden.) Doch ist die formlose unschóne Kursive keineswegs
vergessen; in Glossen, Subskriptionen tritt sie in den Prachthandschriften immer
wieder hervor.1!)
Das Eindringen der früánkischen Minuskel verfolgt man an Schriftwerken Nord-
spaniens (Kataloniens) seit dem Beginne des 12. Jahrhunderts!?), im Verlaufe des-
selben bricht sie sich auch in den südlicheren Teilen Bahn.!?) Am längsten, bis ans
Ende des 12. Jahrhunderts, scheinen sich die Eigentümlichkeiten der westgotischen
Minuskel in Urkunden erhalten zu haben.
1) Ein anschauliches Bild der Entwicklung der westgotischen Schrift, wenn auch teilweise
in kleinen Fragmenten, bietet ARNDT-TANGL T. 8a (s. VI—VII), 8b (v. J. 779), 8c (s.‘ VIII), 36
(v. J. 919), 8d (ca. 1063), 37 (v. J. 1109). Aus derselben Hs., wie A.—T. 8a und E.—L. 5 gibt
STEFFENS eine weitere Schriftprobe Suppl. T. 16a=35a; außerdem Suppl. T. 17=36 Isidor
von Sevilla v. J. 743 (s. E.=L. T. 8); Suppl. T. 24b=49b Lex Wisigoth. v. J. 828; schließlich
Suppl. T. 16b=35b ein Fragment der Bongarsiana in Bern saec. VILL—IX.
2) Vgl. EwALD-LoOEwE T. 2—5.
3) Vgl. STEFFENS T. 54=66b (Traktat „De miraculis“ aus einer Hs. in Barcelona v. J. 911).
4) Sehwer zu unterscheiden z. B. EWALD-LOEWE auf T. 30 (v. J. 1006).
5) Ebenda T. 17 (saec. IX).
6) Vgl. die ganz geringen Varianten, ob der Bogen mehr oder weniger gewólbt, der Schaft
unten leise umgebogen, kürzer oder lànger gemacht wird, bei Ewarp-Lozgws Taf. 8, 11, 14, 26 usw.
*) Vgl. Ewarp-LoEwE T. 14, 15, 17, 19, 21.
8) Ebenda T. 23, 29, 36.
9) Eingehend handelt über die Schrift des wohl dem 8. Jahrh. angehórenden Codex Tolet.
(jetzt Matrit. 15, 8) Isidori Etymologiae R. Bersm, in der Einleitung zur vólligen Reproduktion
dieser Hs., vgl. oben S. 75, Anm. 5.
10) Ebenda T. 27, 28, 36.
11) Ebenda T. 34.
12) Ebenda T. 38 vom J. 1105 (Decreta Burchardi Wormat.), wo vereinzelt wenigstens g, a, t,
nicht mehr westgotischen Charakter zeigen; ferner die aus dem Kloster S. Sebastian in Silos stam-
mende Hs. der Apokalypse vom J. 1109 (ARNDT-TaneL T. 37).
13) Ewarn-Lorwz Taf. 40 (vom J. 1171) als ,minuse. franca" bezeichnet.
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