Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
     
  
  
    
  
   
   
  
  
  
  
    
Erbkönigtum 
Von solchen Fällen abgesehen, gründet sich die königliche Macht im Mittel- 
alter auf das Erbrecht. Es ist ein Anspruch des Blutes, die Macht des Vaters zu erben. 
Diesen besonderen Blutsanspruch suchen die Könige zu sichern durch ebenbürtige 
internationale Ehen.!) Beim Aussterben einer Dynastie wird das Erbrecht dann wie- 
der vorübergehend durch das Wahlrecht ersetzt. 
Der Umstand, daf unsere mittelalterlichen Kónigsydnastien so früh, in der drit- 
ten oder vierten Generation, keine direkten Erben mehr hatten, hat stets das sich bil- 
dende Erbrecht an der Krone wieder unterbrochen. Krüftige Kónige haben immer auf 
die erbliche Befestigung ihrer Familie im Besitz des Thrones hingearbeitet, und je linger 
eine Dynastie bestand, die sich der Gunst der ausschlaggebenden Fürsten erfreute, 
desto näher war sie der tatsächlichen Ausbildung eines Erbrechtes. Die formelle reichs- 
gesetzliche Anerkennung der Erblichkeit der Krone hat jedoch erst Heinrich VI. ver- 
sucht. Der Wechsel des Herrscherhauses verschaffte stets wieder dem Volke oder 
Seinen Vertretern, den Grofen und Fürsten, einen bestimmenden EinfluB auf die 
1 . ° e. . 
Thronfolge durch die Wahl. Auch in Zeiten der Schwäche des Königtums und des 
Gegensatzes der Reichsfiirsten gegen den Konig betonten die Fürsten wieder stärker 
ihr Wahlrecht. Otto v. Freising hat das Wahlrecht eine singularia praerogativa der 
Deutschen genannt. Aber wie wenig schließlich die Erbfolge durch den geringen Ein- 
schlag des Wahlmoments beeinflußt wurde, das beweist allein der Umstand, daß die 
drei großen Königsdynastien des ersten Mittelalters wenigstens in weiblicher Linie mit- 
einander verwandt waren. 
Beim Aussterben der Karolinger war zunächst eine Wahl nötig. Aber auch jetzt 
noch wirkte die Idee der karolingischen Erbberechtigung so mächtig nach, daß man 
den in weiblicher Linie verwandten Vetter der beiden letzten Könige, Konrad I., 911 
wählte.?) Nach seinem Tode wäre theoretisch eine freie Wahl möglich gewesen, da der 
sterbende König das Erbrecht ausdrücklich ausgeschlossen wissen wollte. Aber die 
vom Erbrecht befreite Wahl hatte gleich wieder eine neue Beschränkung erhalten 
durch die Empfehlung, designatio, des Nachfolgers, der sich die maBgebenden Fürsten 
fügien. Durch dieses Mittel der Designation wird von den nun folgenden Herrschern 
die Wahlfreiheit wieder in den Bann des Erbganges zurückgeführt. Das Kónigtum 
der Ottonen ist ein Erbkónigtum?) mit formeller Wahl des vom Vater designierten 
Sohnes. 
So hat Heinrich I. unter Übergehung 'Thankmars Otto I. designiert, Otto hat erst Ludolf und 
nach dessen Tode Otto IL, den letzten überlebenden Sohn, zum Nachfolger bestimmt und sogar 
erreicht, daß er schon zu Lebzeiten des Vaters zum Kónig gesalbt wurde, ja er lieB ihn selbst zum 
Kaiser noch neben sich vom Papste krónen. In diésen beiden Handlungen war Otto I. in der Sicherung 
der Nachfolge über die blofe designatio hinausgegangen. Die nochmalige Huldigung, die Otto II. 
nach seines Vaters Tode empfing, konnte ihm nichts Neues geben; sie hat daher nur den Charakter 
einer Wiederholung der Huldigung und keine staatsrechtliche Wirkung. Wahl und Krönung zur Re- 
gierungszeit des Vaters, — die Wahl auf einem Reichstag zu Verona, die Krönung in Aachen, — haben 
auch den Rechtsgrund für das Königtum Ottos III. abgegeben, stark genug, um auch einem un- 
mündigen Knaben die Krone zu erhalten. Als Otto IIT., ohne vermühlt gewesen zu sein und daher 
ohne direkten Erben, auch ohne eine Designation vorgenommen zu haben, plótzlich gestorben war, 
war es fraglich, ob die bisher formelle Wahl der Fürsten, die im Grunde nur den vom Könige zum 
Nachfolger bestimmten Kandidaten anerkannte, sich zu einer wirklich freien Wahl entfalten würde, 
oder ob das ottonische Erbrecht auch dem nächsten indirekten Verwandten zugebilligt würde. Da 
Otto von Kärnten, der den nächsten Verwandtschaftsgrad aufweisen konnte, zugunsten Heinrichs 
1) K. BRANDT, Erbrecht und Wahlrecht. HZ. 123, 1920, S. 221f. 
2) Vgl. F. SrgiN, Geschichte des Kaisers Konrad I. und seines Hauses, 1872; dort auch die 
ltere Literatur über diese Wahl. G. Warrz, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter König Hein- 
rich I. 1863. 3. Aufl. 1885. Exkurs 2 ,Über die Erhebung Konrads L'". J. KRÜGER aa0. S, 33. 
Joh. v. DUNGERN, Thronfolgerecht, S. 60 u. 62, ist im Unrecht, wenn er die Wahl Konrads I. auf 
überragende Machtstellung gründen will. 
3) So faßten es auch die Zeitgenossen auf; vgl. Hrorsvurr, De gestis Oddonis I, v. 25—32. 
LrupPRAND, Hist. Ottonis c. 2. 'THIETMAR, Chronicon I, 10; Annales Quedlinburgenses a. 936. 
GrundriS d. Gesehichiswissenschaft IL. 3. 5. Auf. 7 
    
	        
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