Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

94 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
von Bayern Verzicht leistete, trat dieser als Vertreter der Königsfamilie mit dem Erbanspruch auf. 
Und obgleich eine Partei, einer freien Wahl zuneigend, Hermann von Schwaben die Stimme geben 
wollte, wußte er durch Ansichbringen der Kroninsignien und Gewinnung des zur Krönung berechtig- 
ten Erzbischofs Williges von Mainz sein Königtum ohne voraufgegangene allgemeine Wahl durch- 
zusetzen. Herkommen und Recht des Erbanspruchs hatte so über die freie Wahl gesiegt. Freilich 
hatte die rasche Tat zur Folge, daß der König nachträglich auf dreimonatiger Rundreise die An- 
erkennung der nicht vorher gewonnenen Stämme erhandeln mußte. Der nächste König wurde wieder 
designiert und gewählt: Heinrich IT. hat, da er selbst kinderlos war, den nächsten Verwandten Kon- 
rad von Kärnten, obgleich ihm dieser unsympathisch war, in konsequentem Festhalten am Erbrecht 
zum Nachfolger bestimmt. Die Wahl der Fürsten in Kamba!) hat diesen Rechtsanspruch sanktioniert, 
nachdem zunächst bei einer Art Vorwahl?) im Rahmen der Wahlverhandlungen streitig war, ob dieser 
Konrad der Ältere oder sein Vetter Konrad der Jüngere, der ebenfalls Erbrecht geltend machte, 
obsiegen würde, Konrad der Altere dann aber durch gütliche Verhandlung den Anspruch seines - 
jüngeren Vetters beseitigt hatte. Die Designation seines achtjührigen Sohnes Heinrich auf einem 
Reichstage zu Augsburg wurde schon 1026 von Konrad II. als das Mittel gewühlt, die Erbfolge des 
salischen Geschlechtes zu sichern; eine nochmalige Wahl und Krónung auf einem Reichstage zu 
Aachen 1028 vollendete die erbliche Befestigung des neuen Geschlechtes auf dem Throne. Auf die- 
selbe Weise ließ auch Heinrich IIT. seinen einzigen dreijährigen Sohn 1053 förmlich wählen und 1054 
zum König krönen. 
Bisher hatte das Erbrecht in steigender Kraft das Wahlrecht niedergedrückt. 
Die Wahl war zur Form geworden; sie war eigentlich nur ein Anerkennungs- und Hul- 
digungsakt. Das Reich war eine Erbmonarchie, in der auch bei kinderlosem Tode des 
Herrschers, so 1002 und 1024, die ,,innere Triebkraft des Erbrechts* die notwendige 
Wahl auf den verwandtsehaftlieh n&chstberechtigten und designierten Erben lenkte. 
Unterstützt wurde der Erbanspruch durch den Besitz oder die Überreichung der Kron- 
insignien. Es war daher für den Nachfolger sehr wichtig, sie in die Hände zu bekom- 
men. Sie konnten, besonders wenn zwei Brüder oder Vettern gleichzeitig Erbanspruch 
hatten, den Ausschlag geben.?) 
In der Regierungszeit Heinrichs IV. erfolgte jedoch der Umschwung. Der Gegen- 
satz zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. hatte dazu geführt, daB eine deutsche 
Synode den Papst für abgesetzt erklürte, worauf Gregor mit dem Bann über den 
König und dem Verbote zu regieren sowie mit der Entbindung der Untertanen von dem 
Treueide antwortete. Di» deutsche Fürstenopposition sah in dem Bann ein willkom- 
menes Hilfsmittel, und obwohl sich Heinrich davon absolvieren lieB, schritt sie zu 
einer revolutionären Wahl, die an kein Erbrecht gebunden war. Die Wahl zu Forch- 
heim 1077 und diejenige zu Goslar 1081, dureh die nacheinander zwei Gegenkónige, 
erst Rudolf und dann Hermann, erhoben wurden, waren freie Wahlen, die im Gegen- 
satz zu dem Erbrecht der Thronfolge standen. Bisher trat ein solcher Gegensatz nicht 
hervor, denn Wahl und Erbfolge waren miteinander verbündet gewesen und dienten 
einander zur Ergánzung. Es war eine faktische Ánderung, wenn man hier die volle Frei- 
heit der Kónigswahl proklamierte. Formell war sie ja nie aufgehoben worden. 
Die Gefahr, die dem Erbwahl-Kónigtum drohte, wuBte jedoch Heinrich IV. noch ein- 
mal zu beseitigen, indem er zuerst den schon vorher zum König bestimmten ältesten 
Sohn Konrad krönen ließ und dann nach dessen Rebellion die Wahl und Krönung 
seines zweiten Sohnes, Heinrichs V., 1099 durchsetzte. Der Akt in Mainz 1106 nach der 
erzwungenen Abdankung des Vaters war keine eigentliche Neuwahl Heinrichs V., 
sondern allgemeine Huldigung und Treueid der geistlichen und weltlichen Fürsten, 
mit Überreichung der Reichsinsignien, wozu jetzt auch zum erstenmal die Bestätigung 
durch Legaten des Papstes hinzukam. Der Erzbischof von Mainz und seine Verbün- 
i 1) Wrro, Gesta Chuonradi, cap. 1 u. 2 liefert uns zwar einen eingehenden Bericht über diese 
Wahl, der uns aber keineswegs in allen Fragen Klarheit verschafft. Wrro ist die unmittelbare 
Quelle zu Ludwig Uhlands Herzog Ernst. 
2) BnEssLAU, Jahrbücher Konrads IL, Bd. 1 (1879), S. 17 tritt für eine Vorwahl ein. 
3) Die Bedeutung der Kroninsignien für die Nachfolge ist bei der Erhebung Heinrichs I., 
Heinriehs II., Konrads II., Lothars, Friedrichs I. besonders bezeugt. Warrz, Vfg. 6?, S. 177. Sie 
spielen besonders bei der Doppelwahl vom Jahre 1198 eine Rolle. 
       
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
     
    
	        
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