Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

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Einleitung 3 
Organisation der Sippe zu den ersten ,staatlichen' Formen. Es entstanden Volks- 
gemeinsehaften. Ein gewissermaßen staatliches Band umschloß sie, sie fühlten sich 
als ein Verband, als ein Ganzes, ohne daß sie noch nur verwandten Sippen angehörten. 
Die Entwicklung zu einem Geschlechterstaat ist damit durchbrochen. Was jetzt weiter 
sich zusammenschließt, ist kein Geschlechtsverband mehr, bloß auf Blutsgemeinschaft 
beruhend, es ist ein künstlicher Verband, ein Staat. Die privatrechtliche Zusammen- 
gehörigkeit ist durchkreuzt und beseitigt, der öffentlich-rechtliche Verband ist an die 
Stelle getreten.!) Die Gesamtheit der Volksgenossen steht jetzt über dem Familien- 
zusammenhalt.?) 
Wurde die Volkszahl zu groB, so wuchs man über das Terrain, in dem man auf 
der Wanderschaft haltgemacht hatte, hinaus in das Nachbargebiet; bot auch dies 
nicht mehr Raum, so muBte man weiterwandern oder die vorgefundene Bevölkerung 
vor sich herdrängen. Beim Vordringen nach Süden und Westen stieß man auf die Vor- 
mauer der Kelten. Die Kimbern durchbrachen sie und zeigten so dem weiteren Aus- 
breitungsbedürfnis der Germanen die Richtung. 
Jetzt setzen die ersten Nachrichten über die Germanen ein, die auch einiges über 
ihre staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen bringen. Römische und griechi- 
sche Schriftsteller sind die Berichterstatter; man muß das bei der Wertung ihrer Zeug- 
nisse stets vor Augen behalten. Sie haben nur das berichtet, was sie zufällig in Er- 
fahrung gebracht haben und was ihnen besonders aufgefallen ist. Vollständigkeit lag 
ihnen fern, und tiefer in das Verständnis der Dinge sind sie nicht eingedrungen. Und noch , 
eins. Bie mafen die germanischen Zustünde nach griechisehem und rómischem MaB- 
Stab, und sie legten ihnen Bezeichnungen bei, die sie von der eigenen Terminologie 
hernahmen. Mit dem gleichen Fachausdruek decken sie in der Heimat etwas anderes 
als bei den Germanen, bei denen höchstens Ähnliches vorhanden war, für das ein ande- 
rer, besserer Ausdruck fehlte. 
Diese fremde Berichterstattung hatte jedoch insofern ihr Gutes, als sie aus einer 
gewissen Entfernung das Germanentum als Ganzes übersah und so die Zusammen- 
gehórigkeit aller Germanen erkannte, als bei ihnen selbst ein solches Bewußtsein noch 
nicht vorhanden war. 
Kein gemeinsames politisches Band hielt sie zusammen, nicht einmal ein gemein- 
samer Name erinnerte an ihre ursprüngliche Einheit. Auch als früh Ost- und West- 
germanen sprachlich auseinanderfielen und getrennte Wege der Entwicklung gingen, 
führte dies nicht zum ZusammensehluB zweier in Ostgermanen und Westgermanen 
getrennter politischer Verbánde. Nur bei den Westgermanen hatte sich die Erinnerung 
an die engere Verwandtschaft dreier größerer Gruppen und an ihre gemeinsame Her- 
kunft erhalten in ihrer Ursage von der Abstammung der Jngväonen, Istväonen und 
Herminonen von einem gemeinsamen Stammvater Mannus. Auch diese drei Gruppen 
bilden in geschichtlicher Zeit keine politischen Verbände, sondern waren nur Kult- 
gemeinschaften. Eine ähnliche Kultgemeinschaft mögen bei den Ostgermanen die 
‚Gruppen der vandilischen Völker gewesen sein. Im übrigen lieferte das Ergebnis der 
  
1) Ich stehe mit dieser Auffassung in der Mitte zwischen Gegnern und Anhängern eines alt- 
germanischen Geschlechterstaates. Hauptsächlichster Anhänger ist v. SYBEL, Entstehung des deut- 
‚schen Königtums 1844, 2. Aufl. 1881; andere: LAMPRECHT, Die gegenwärtige Entwicklung der Wissen- 
schaften. Rektoratsrede 1912, S. 231.; SCHMOLLER, ZSozWg. 1904, S. 385, Anm. 3; SEELIGER, Stän- 
dische Bildungen im deutschen Volke 1905. — Gegner: Ep. MEvER, Gesch. des Altertums P, S. 6f.; 
Derselbe, Über die Anfänge des Staates in den SBAk. Berlin vom 6. Juni 1 907; v. BELow, Der deutsche 
Staat des MA. 1914, S. 41£., 2221. 
2) Das geht schon daraus hervor, dat derjenige, der in der Landgemeinde als friedlos erklürt 
wurde, auch den Sippenschutz verlor und aus dem Sippenverband ausscheiden mute, i BRUNNER, 
ig. P, S. 131. 
 
	        
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