112 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
erläßt aber auch Einladungen zu solchen Versammlungen. Dabei ist eine solche
Reichsversammlung sowohl zur Beratung kirchlicher Fragen als zur Erledigung welt-
licher Dinge tätig, auch die Benennung war ein und dieselbe; aber für die Verhandlun-
gen rein kirchlicher Angelegenheiten traten die Geistlichen zu besonderen Beratungen
zusammen. Jedenfalls waren die Synoden der Bischöfe gleichzeitig auch Reichsver-
sammlungen zur Erledigung staatlicher Aufgaben.
An bestimmte Zeiten und Orte war der König für die Abhaltung der Reichsver-
sammlungen nicht gebunden. Auch war es ihm überlassen, den Gegenstand der Be-
ratung zu bestimmen. Zweckmäßig war es, daß nach dem Überschreiten der Alpen
sogleich in Italien eine Reichsversammlung abgehalten wurde, was gewöhnlich auf
den Ronkalischen Feldern bei Piacenza geschah, wozu dann auch die italienischen
Großen eingeladen wurden.
Der König hatte das Recht, zu berufen und vom Besuch zu befreien; nur der
Herzog von Österreich und der König von Böhmen erhielten ein dauerndes Privileg,
daß sie nur bestimmte Reichsversammlungen zu besuchen brauchten. Das Fern-
bleiben wurde als Ungehorsam aufgefaßt, der Ungnade nach sich ziehen konnte; aber
es wurde nicht besonders bestraft.
Seit der Zeit Heinrichs IV. haben die opponierenden Fürsten auch eigenmächtig
Reichsversammlungen abgehalten.
5. Das Lehnswesen,
HoxMEYER, System des Lehnrechts der sächsischen Rechtsbücher (in: Sachsenspiegel, 2. Teil,
Bd. 2). J. Ficker, Vom Heerschilde. 1862. CIcCAGLIONE, La féodalita. 1890. R. BORGER, Die Be-
lehnungen der geistlichen Fürsten. Leipzig. Diss. 1900. J. BRuckauFr, Fahnlehn und Fahnenbeleh-
nung im alten deutschen Reiche. Leipzig. Diss. 1907. Warrz, Vig. 62, 8.1—138. ScHRODER, Rg. 1 9,
$24 v. BELow, D. deutsche Staat des MA. 19183, § 6, S. 248f. F. KxutcEN, D. deutsche Staat des
MA.1911, Kap. 3.
Den Beamten und Ratgebern am Hofe entsprachen Beamte im Reiche. Ihre
Stellung ist mehr und mehr von dem Lehnswesen!) beeinflußt worden, das alle Ver-
hältnisse durchdringt und den Beamtenstaat in einen Lehnsstaat verwandelt. Das
Lehnswesen hat seinen höchsten Einfluß auf das Staatswesen in Deutschland im
12. Jh. erreicht. Von der Bezeichnung feudum = Lehen hat man die Ausdrücke
Feudalstaat?) und Feudalismus geprügt, worunter mau die Gesamtheit der Folge-
wirkungen des Lehnswesens zusammenfat.
Diese Feudalisierung des Beamtenstaates ist in gewissem Sinne eine Reaktion
des germanischen Prinzips der Selbstverwaltung gegen die aus der antiken Staatsidee
stammende imperiale Befehlsgewalt. Der Lehnsstaat beruht auf der Lehnstreue, wie
das altgermanisehe Gefolgswesen auf der Gefolgstreue beruht hatte. Es besteht also
eine innere Wesensverwandtschaft zwischen Gefolgswesen und Lehnswesen. Der
Lehnsverband ist nur eine neue, den veränderten Zwecken angepaBte Form des Treue-
verhältnisses. Dieser Treueverband trat aber jetzt au die Stelle des auf antiker Basis
versuchten Untertanenverbands, die Lehnstreue ersetzte den Untertanengehorsam.
Je mehr das Lehnsverhältnis sich ausdehnte und alle öffentlichen Einrichtungen
zu durchdringen suchte, desto mehr schwand der amtsrechtliche Charakter des Staates
dahin, ohne daß dadurch ganz der staatliche Charakter verloren ging.
Amt und Lehen waren anfangs ganz verschiedene Dinge. Zunächst war nur
1) Über die Anfánge des Lehnswesens s. o. S. 76
2) v. BELOW aaO. S. 277f. will zwischen Lehnsstaat und Feudalstaat unterschieden haben:
,Feudalstaat ist der weitere Begriff, er hat sein vornehmstes Charakteristikum in der Veräußerung
der Hoheitsrechte im allgemeinen, in der relativen Selbständigkeit der lokalen Gewalten, in dem
Dasein von Staaten im Staate, in der Privilegierung der lokalen Gewalten, die wiederum zum großen
oder größeren Teil in der Veräußerung öffentlicher Rechte beruht.“