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Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
Hebung des Ministerialenstandes durch den Eintritt Freier sich vollzog. Geistliche,
Frauen, Bürger und Bauern waren davon ausgeschlossen; aber die geistlichen Fürsten,
Bischöfe, Reichsäbte und Reichsäbtissinnen, machten eine Ausnahme. Sie konnten ein
rechtes Lehen erwerben; denn sie konnten einen Heerschild führen und mit ihren
Hintersassen in den Krieg ziehen.
Heerschild') im übertragenen Sinne ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, ein
Ritterlehen zu erwerben. Je schärfer sich der Kreis dieser Lehnsfähigen nach unten
abschloß, desto mehr differenzierte sich innerhalb dieses Kreises der Raug der einzel-
nen Lehnsträger. Es entstand eine Heerschildordnung, die feste Rangklassen der
Lehensfähigen dadurch unterscheiden ließ, daß es Prinzip wurde, daß man nur von
einem Höherstehenden ein Lehen empfangen konnte. Das Lehnswesen hat die Stände-
gliederung des MA. hervorgerufen, indem es ein System der Rangungleichheit nach
Begriffen des Lehnsrechts sehuf. Übergeordnete, neben- und untergeordnete Schich-
ten entstanden aus der bisher mehr gleichmäßigen Gesamtheit der Freien.
Der Sachsenspiegel und der Schwabenspiegel haben uns solche Heerschildord-
nungen aufgezeichnet?), wir können im allgemeinen auch schon für das 12. Jh. daraus
die Grundzüge gewinnen.
Heerschildordnung
A. des Sachsenspiegels: B. des Schwabenspiegels:
1. Konig, 1. Konig,
2. geistliche Fürsten, 2. geistliche Fürsten,
3. weltliche Fürsten, 3. weltliche Fürsten,
4. freie Herren, 4. die Hochfreien, die nicht Fürsten sind,
5. die schöffenbar Freien und die Ministerialen, 5. die Mittelfreien,
6. die Lehnsmannen der Inhaber des 5. Schildes, 6. die Ministerialen,
7. unbenannt. 7. die übrigen ritterbürtigen Lehnsträger.
Wenn jemand von einem Heerschildgenossen ein Lehen annahm, so erniedrigte
er seinen Schild um eine Stufe. Deshalb standen auch die weltlichen Fürsten eine Stufe
tiefer als die geistlichen, weil sie von diesen Lehen zu empfangen pflegten. Dagegen
konnten geistliche Fürsten ein Fahnlehen empfangen, ohne ihren Schild zu ernie-
drigen; denn diese Fahnlehen erhielten sie unmittelbar vom Konig. Der letzte Heer-
schild hatte nur passive, keine aktive Lehnsfähigkeit ; deshalb hießen seine Träger auch
Einschildige.
Das Lehnswesen hat alle Verhältnisse so sehr durchdrungen und die allgemeinen Anschau-
ungen so sehr beherrscht, daß man selbst allodiales Eigentum als Lehen der Sonne (Sonnenlehen)
autfabte.
6. Die staatliche Gliederung. Fürsten und Beamte im Reich.
JuLIUS FICKER, Vom Reichsfürstenstande. 1861. Pr. Hxox, Der Sachsenspiegel und die
Stände der Freien. 1905. H. FEHR, Fürst und Graf im Sachsenspiegel. B. der sächs. Gesch. d. Wiss.
1906. F. KEUTGEN, D. deutsche Staat des MA. Kap. 4: Der Fürstenstand. 1918.
Von der fränkischen Zeit her war das ganze Reich allmählich mit einem Netz von Graf-
schaften überspannt worden, während an den Grenzen größere und stärkere Markgrafschaften vor-
gelagert waren. Das war das einfache Bild der staatlichen Gliederung, seit Karl d. Gr. die selbstän-
digen Stammesgewalten der Herzogtümer unterdrückt hatte. Aber in der Zeit des Niederganges
der Karolingermonarchie hatte sich das Sonderleben der einzelnen Stimme und ihr Gegensatz zu
dem Kónigtum wieder lebhaft geltend gemacht. Bald stellten sich auch die Führer ein, die an die
Spitze solcher Bestrebungen traten und die Wiederaufrichtung selbständiger Stammesherzogtümer
herbeiführten.
1. Der Herzog.
ScHOTTMÜLLER, Entetehung des Stemmesherzogtums Bayern. 1868. Tu. HErGEL und S.
RxszrER, Das Herzogtum Bayern zur Zeit Heinrichs des Löwen und Ottos I. von Wittelsbach. 1867.
K. WITTICH, Entstehung des Herzogtums Lothringen. 1862, J. BERCHTOLD, Die Landeshoheit Oster.
1) Vgl. J. FrckER, Vom Heerschilde. 1862.
2) O. SToBBE, Die Stände des Sachsenspiegels. Z. f. deutsches Recht 15. R. SCHRODER, Zum
Ständerecht des Sachsenspiegels. Z Sav Rg. 7. S. 1474, Pa. Hxcx, Stánde und Gerichte des Sachsen-
spiegels. ZSozWg. 2.