Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

  
4 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
vorgeschichtlichen Wanderungen lauter selbständige Hirtenvölker, die alle ein ge- 
sondertes Dasein führten mit Viehzucht und den primitiven Anfängen des Feldbaues. 
Schon die Kelten hatten vorher die Stammverwandtschaft der einwandernden Nord- 
völker erkannt und hatten sie mit dem gemeinsamen Namen Germanen umfaßt. 
Ihnen folgten darin die Römer. Bei den Germanen selbst aber dauerte die Zer- 
splitterung bis ins dritte Jahrhundert in die Zeit der Stammbildung. 
Den Rómern war dieses Germanentum ein Schrecken. Mit Mühe brachte Marius 
die vor solehen Barbaren fliehenden Legionen zum Stehen. Er siegte zwar zuletzt, 
und auch Caesar errang über Germanen einen Sieg; aber das waren nur von der Hei- 
mat losgelóste Eindringlinge, denen man aufs Haupt schlug. Irumerhin waren es 
große Haufen, die unter einem Führer geeint waren. Sie trugen Vólkerschaftsnamen, 
wie Kimbrer und Sueben, ohne eine staatliche Einheit darzustellen. 
In das Innere Germaniens selbst hat Caesar nur zwei kurze Streifzüge unter- 
nommen, nur um zu zeigen, daß der Römer an der Rheingrenze stand und sie zu be- 
hüten bereit war. Als unter Augustus dann der Versuch gewagt wurde, die Germanen 
im Innern nachhaltig anzugreifen und zu unterwerfen, da hat die Niederlage im Saltus 
Teutoburgiensis die Undurchführbarkeit eines solchen Planes gezeigt. In der Folgezeit 
haben die Römer nur ihre Waffenehre wieder hergestellt und eine feste Grenzwehr 
aufgerichtet. Der römische Limes hat die Flut der nomadisierenden Germanen ge- 
staut; er hat ihren Wandertrieb gezügelt und sie zu größerer Seßhaftigkeit ge- 
zwungen. 
Das hatte wiederum greifbare Folgen für das Germanentum selbst; bezüglich 
der Wirtschaftsverfassung wohl am stärksten; aber auch die Fortschritte zur Ausbil- 
dung von staatlichen Gebilden und rechtlichen Verfassungen sind nicht niedrig 
anzuschlagen. Die Germanen des Tacitus zeigen uns diese Weiterbildungen im Ver- 
gleich zu den Germanen des Caesar. Aber es sind Weiterbildungen von unten aus- 
gehend, vom Volke zum Staatsbegriff. Die Staatsauffassung ist noch eine ganz frei- 
heitliche. Sie beruht auf der Selbsthilfe und gewährt dem einzelnen große Selb- 
ständigkeit. Herkommen und Gewohnheit gaben die Richtschnur und schufen all- 
mählich ein Gewohnheitsrecht. Doch mit dem Zusammenschluß blutfremder Sippen 
zu einem staatlichen Ganzen müssen auch die ersten staatlichen Organe aufgekom- 
men sein. Die Führer, die Vornehmsten, principes, stellen die ersten Staatsbeamten, 
die gemeinsam den Ausgleich unter den Sippen, das erste Regen eines öffentlichen 
staatlichen Lebens regelten. Sie sind vom Volke in dieser Tätigkeit freiwillig aner- 
kannt oder dazu erkoren, aber ihre Herrschaft beruht auf Geburt und Abstammung. 
Dieses Geburtsmoment gibt dem germanischen Staat eine aristokratische Bei- 
mischung. So ist von Anfang an ein Dualismus gegeben: Fürstentum und Volkstum, 
aristokratische und demokratische Elemente ergänzen sich. 
In das private Leben greifen diese Führer nicht ein. Das Volk hat sich nach 
Sippen niedergelassen und ordnet in den Familien sich selbst und hilft sich selbst. 
Die Ordnung im Hause hält der Hausherr; Friede und Recht in weiterem Kreise ver- 
bürgt der Familienverband, die Sippe. Die Familie hat sich zur Sippe erweitert, die 
in Freud und Leid zusammenhält; die Sippen aber sind jetzt mit anderen Ankömm- 
lingen zusammengeschweißt zum Staat. 
Durch den Zusammenschluß mehrerer Sippen zu einer größeren Vereinigung 
wird die ursprüngliche Gleichheit der Sippengenossen aufgehoben, die eine Sippe ist 
angesehener als die andere, Kriegstaten, Führerschaft, persönliches Übergewicht 
durch Alter und Erfahrung, auf der anderen Seite Unterordnung und Unterwerfung 
verschieben die soziale Gleichheit. Es scheiden sich Freie und Unfreie, es hebt sich der 
Adelige aus den Freien empor und der Freigelassene und Halbfreie über die Unfreien.
	        
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