Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

  
6 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
früheste Art der Herrschaft darstellte, die eine Unterordnung bedingte.!) Diese herr- 
schaftliche Gewalt erstreckte sich über die in der Hausgemeinschaft Zusammenwoh- 
nenden. Alle Insassen des Hauses: Weib, Kinder, ledige oder verwitwete Schwestern 
und das Gesinde waren der Herrschaft des Hausherrn unterworfen. Nach außen haf- 
tete der Hausherr für seine Hausangehörigen, „er deckt sie mit seiner Person‘. Gleich- 
zeitig verfolgte er denjenigen, der seine Hausangehörigen verletzte, und heischte von 
ihm Strafe. Dem Gesinde gegenüber ist seine Gewalt unbeschränkt gewesen, weil 
das Gesinde als Sache aufgefaßt wurde, an dem der Hausherr das Eigentumsrecht 
ausübt. Den Familienangehörigen gegenüber war seine Gewalt beschränkt durch die 
Sippe, die ihre Mitglieder gegen ihn vor Willkür schützte, und durch die Sitte, Das 
Recht, die Frau zu töten, war ihm nur für ganz wenige Fälle, besonders wenn sie des 
Ehebruchs schuldig war, vorbehalten. 
Die Hausherrngewalt wurde begründet durch die Raubehe oder durch die Kauf- 
ehe, von denen die letztere die erstere allmählich verdrängte. Zwischen beiden Ehe- 
schließungsformen besteht ein innerer Zusammenhang, insofern auch bei der Raubehe 
für den Eingriff in die Hausherrngewalt des Vaters der Braut (Muntverletzung) eine 
Sühne bezahlt werden mußte. Daraus entwickelte sich die vorherige vertragsmäßige 
Vereinbarung des Kaufs. AuBerlich erinnerte auch dann noch an die ursprüngliche 
Raubehe der Brautkauf, wobei die Braut, die dem Bräutigam zugeführt wurde, von 
einem Haufen bewaffneter Verwandten geleitet wird. Gekauft wurde nicht die Frau, 
sondern die Gewalt über die Frau ; den Kaufpreis erhielt deshalb auch nicht die Frau, 
sondern ihr Vater oder Vormund und ihre Verwandtschaft. Die Hausherrngewalt 
über Freie und Halbfreie, insbesondere der Schutz, den der Hausherr nach außen ge- 
währleistet, wird munt genannt, lateinisch mundium.?) Die Töchter schieden aus der 
Gewalt des Vaters durch die Ehe und sie gelangten durch die Ehe in die munt des Ehe- 
manns. Die Söhne wurden aus der Hausherrngewalt des Vaters entlassen, wenn sie 
einen eigenen Hausstand gründeten, wenn sie in eine Gefolgschaft eintraten, oder wenn 
sie an Kindes Statt adoptiert wurden — nicht also allein durch die Wehrhaftmachung. 
Die Wehrhaftmachung nahm der Vater vor, wenn der Sohn die körperliche 
Reife und mannhafte Tüchtigkeit erreicht hatte; bei Vaterlosen tat es die Sippe, bei 
Jünglingen, die in eine Gefolgschaft eintraten, hatte der Gefolgsherr, der princeps, 
diese Befugnis. Die Wehrhaftmachung war zunüchst die Bedingung zur Aufnahme in 
das Heer, aber sie hatte auch zur Folge, daB der Wehrhafte zur Versammlung, ur- 
sprünglich der Sippe, später der Volksgemeinde zugelassen wurde, wenn er auch sonst 
noch der Familiengewalt des Vaters unterstand. Die Wehrhaftmachung mußte öffent- 
lich im Landding geschehen, denn der Jüngling wurde dadurch der Landgemeinde 
vorgestellt zur Erteilung militärischer und politischer Rechte. 
Die Hausherrngewalt verbürgte den Frieden des Hauses, sie sorgte für Ruhe 
und Ordnung in der Familie. | 
b) Die Sippe. 
Familien, die auf denselben Stammvater?) zurückgehen, bilden einen Familien- 
verband. Dieser Verband ist entstanden, indem sich die Familie in männlicher Ab- 
folge erweiterte und neue Hausstände der Söhne und weiter wiederum deren Söhne 
1) F. BODEN, Isländische Regierungsgewalt, 1905 (GIERKE, Untersuchungen 76) sieht im 
Gefolgschaftswesen die Grundlage der Staatsgewalt. 
2) Wir haben noch heute Reste dieses Wortgebrauchs in Vormund, Mündel u. a. 
3) Eine abweichende Auffassung tritt für gemeinsame Abstammung von einer Stammutter ein 
und läBt die Sippe mutterrechtlich begründet sein. v. AMIRA, Recht?, S. 106; FrckER, Untersuchun- 
gen zur Erbenfolge IT, S. 630; IIT, S. 419. Dagegen: BRUNNER, Rg. 12, S. 106; SCHRÔDER, Rg.$, S. 69; 
SCHRADER, Die Indogermanen, S. 76.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.