142 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
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nun aber zur Grafschaft genau so, wie die grundherrliche Immunität sich zur Graf-
schaft verhalten hat. Die Bannbezirke sind aus der Grafschaft herausgeschnitten, und
in ihnen ist der Stiftsvogt an die Stelle des Grafen getreten, jedoch mit derselben Mo-
difikation, die wir schon kennen, daß der Vogt im Grafengericht erscheinen muß. Der
Immunitätsherr ist deshalb noch nicht Graf dieses Bannbezirks, der Gerichtsbann
erhebt ihn noch nicht zum Grafen über diesen Bezirk. Aber es ist nur noch ein kleiner
Schritt, der schon bald nach den ersten Bannschenkungen getan wird, dab nun
auch ganze Grafschaften an geistliche Immunitütsherren verliehen werden. Das war
eine politisch kluge Mafregel der Ottonen; denn dadurch wurden die Einkünfte
dieser Grafschaften und die Tätigkeit der Grafschaftsinhaber in den Dienst des Reichs
gestellt zu einer Zeit, wo die weltlichen Grafschaften durch das Eintreten der Erb-
lichkeit der Einwirkung des Reiches verloren gingen.
Waren so die Grafschaften durch die Immunitütsbezirke durchlôchert, ver-
kleinert und gesprengt worden, so setzen sie sich doch bald wieder gegen das Um-
siehgreifen der Immunitüten zur Wehr. Sie bilden ebenfalls Bannbezirke über zer-
streutes Immunitütsgut. Das territoriale Prinzip der Gerichtsbarkeit ist im Vor-
dringen und verscheucht die Gerichtsbarkeit entlegener Immunitätsherrschaften über
verstreute Güter und Lehen. Es vollzieht sich eine räumliche Auseinandersetzung
zwischen Grafschaft und Immunität im rückläufigen Sinne. Andererseits hat die Stel-
lung des Immunitätsherrn und indirekt auch der Einfluß des Königtums im Immuni-
tätsgebiet in der Folgezeit dadurch Einbuße erlitten, daß das Vogtamt in ein Lehen
umgewandelt wurde. Auch sonst hielt sich die Immunität nicht in der im 10. Jh.
errungenen Höhe. Sie ist im 12. und 13. Jh. wieder von ihrer Machtstellung zurück-
gesunken und hat vielfach die Kriminalgerichtsbarkeit wieder verloren.?)
5. Lehns- und Dienstmannengerichte.
Dieses sind Gerichte für private Beziehungen innerhalb eines bestimmten Kreises
von Personen wie auch zwischen diesen und ihren Herren.
Das Lehnsgericht erstreckte sich auf das Lehen und das Lehensverhältnis, es
betraf Streitigkeiten der Lehnsleute untereinander und zwischen Lehnsherrn und
Lehnsmann. Der Lehnsherr war verpflichtet, ihm ,,Lehnrechtes zu helfen‘“. Richter
war der Lehnsherr; wenn er Partei war, einer seiner Vassallen. Berufung ging an den
Oberlehnsherrn, in letzter Instanz an den Kónig. Der Kónig hielt Lehnsgericht mit
den Fürsten im Hofgericht ; die Fürsten hielten es ab mit ihren Vassallen in ihrem Lehn-
hofgericht, der sogenannten Lehenkammer.
Das Dienstmannengerieht.
Für alle Streitigkeiten der Dienstmannen untereinander und für alle Rechts-
fälle zwischen Dienstmannen und Herren gab es ein besonderes Gericht, in dem die
Ministerialen die Urteilfinder waren, wührend der Herr oder der von ihm bestellte
Vertreter, Vogt, der Vorsitzende war. Für Streitigkeiten der Ministerialen mit Dritten
war das Dienstgericht nicht zuständig; sie gehôrten vor das ordentliche Landgericht,
vor dem der Herr seinen Ministerialen vertrat.
Die Freien, die um eines Lehens willen in die Ministerialität eintraten, werden,
wie sie sich ihre Zuständigkeit im Landgericht offen hielten, so auch, wenn sie neben
dem Ministerialenlehen ein vassallitisches Lehen hatten, ihre Zugehörigkeit zum Lehns-
gericht sich bewahrt haben. Da lag es für sie nahe, daß sie sich auch in Streitsachen
über ihr Ministerialenlehen an das ihnen zugängige Lehnsgerieht der Freien wandten.
Das wird die Folge gehabt haben, daB man Lehenssachen der Ministerialen überhaupt,
1) E. SrENaEL, ZSavRg. 25, S. 320ff.