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Die Sippenverfassung 7
gegründet wurden. Die so!) erweiterte Familie heißt Geschlecht oder Sippe. Die ein-
zelnen Geschlechtsverwandten heißen Gesippen, Gätlinge oder Holden, bei den West-
germanen Magen. Man unterschied dabei wieder die Schwert-, Ger- oder Speer-
magen, nämlich die männlichen Verwandten des Mannstammes, und die Spill-, Spindel-
oder Kungelmagen, alle weiblichen Verwandten und deren Männer.
Die Sippe sorgte für Aufrechterhaltung des Friedens im ganzen Geschlechte;
Fehde der Gesippen gegeneinander war verboten. Aber nicht nur in der Verbürgung
dieses besonderen Sippenfriedens lag die Bedeutung der Sippe für das altgermanische
Volkswesen, sondern auch an der Heeresverfassung, Agrarverfassung und im ôffent-
lichen Rechtsleben hatte die Sippe noch in geschichtlicher Zeit großen Anteil.?)
Im Heerwesen ist die Sippe als frühere Kampf- und Schutzgenossenschaft noch
unverwischt. Die Gesippen kämpften nebeneinander, und dadurch waren die Sippen
besondere Abteilungen im Heere; familiae et propinquitates bildeten nach Tacitus im
germanischen Heere die Unterabteilungen.?) Nach dem Beowulfslied haftete die Sippe
für den Feigling aus ihrer Mitte, ein Beweis für ihre militàrische Verantwortlichkeit
und Solidarität. Anfangs stand die Sippschaft im Heere noch unter eigenem Anführer.
Die gemeinsam kümpfenden Geschlechtsverwandten waren nicht nur auf der
Wanderschaft zu gegenseitigem Schutz zusammengeblieben, sie hatten sich auch ge-
meinsam niedergelassen. Die germanische W'rtschajtsverjassung làDt deshalb noch er-
kennen, daß die Sippe vorher eine wirtschaftliche Genossenschaft gebildet hatte, die
eine Feldflur gemeinsam bebaute und gemeinsam erntete. Noch Caesar konnte be-
obachten, daß den Sippen in jährlichem Wechsel Stücke der Ackerflur zu gemein-
samer Benutzung zugewiesen wurden. Daß sie auch bei festerer Niederlassung zu-
sammen wohnten“) und Geschlechterdörfer®) sich bis ins 16. Jh. nachweisen lassen,
ist eine natürliche Folge der ursprünglichen Bedeutung der Sippe für die Grund-
besitzverhältnisse.
++ Die öffentliche Rechtsauffassung wurde noch vielfach von der Sippe getragen;
die Sippe erfüllte Aufgaben des öffentlichen Rechtes, die dann später im vorgerückten
Staatswesen die Staatsgewalt übernahm. Vor allem trug sie zur Aufrechthaltung des
allgemeinen öffentlichen Friedens bei durch strenge Wahrung des Sippenfriedens.
Die Sippe verteidigte ihre Mitglieder gegen jeden Angriff von außen und sie rächte
Jede Verletzung. Im schwersten Falle, bei Tötung eines Sippengenossen, hatte die Sippe
noch weit in die geschichtliche Zeit hinein ausgedehnte Befugnisse, Es standen der
Sippe bei Totschlag zwei Wege offen: die Fehde gegen die Sippe des Totschlägers oder
ein Sühnvertrag mit dieser Sippe; die beleidigte Sippe hatte die Wahl zwischen beiden;
dureh angebotene Sühne brauchte sie sich aber wohl nicht ohne weiteres ihr Fehde-
recht abnehmen zu lassen.
Bei der Fehde wird die Tótung gesühnt durch Blutrache; durch BlutvergieBen und Tôtung
von Mitgliedern der feindlichen Sippe. Bei Sühnevertrag geschieht die Sühne durch Sühnegeld,
das Manngeld oder Wergeld®) hieB, bei den Franken, Friesen und Thüringern auch leudis, bei den
Angelsachsen leódgeld oder were genannt wurde. Die Sippe der „toten Hand“‘ verteilt das empfan-
1) Es gibt auch einen weiteren Begriff der Sippe, der alle Blutsverwandten einer Person um-
faßt. Doch ist diese Sippe im weiteren Sinne kein verfassungsrechtlicher Verband und kommt daher
hier für uns nicht in Betracht.
2) Warrz, Vg. I?, S.54ff. BrunNER P, S.117f.
3) Tacitus, Germania o. 7.
4) An die Bedeutung der Sippe im Heerwesen und im Agrarwesen erinnert der Ausdruck
fara — Sippe, der sowohl eine Heeresabteilung bezeichnete, als auch, territorial gebraucht, einen Ort,
ein Gebiet bedeutete. Der Ausdruck faramanni im burgundischen Volksrecht hángt damit zusammen.
Vgl. H. BRuNNER, Rechtsgeschichte I?, S. 118, Anm. 37.
5) In den Ortsnamen auf ingen kommt die Sippensiedlung zum Ausdruck, in Namen auf
heim, hausen u. à. erkennt man die führende Einzelperson, den Sippenültesten, wieder.
6) Von wer — vir, Mann.