Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

152 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
Jedenfalls erwies sich eine früher vertretene Ansicht als ein Irrtum, daß die 
Stammesherzóge schon im erblichen Besitz der „„Erzämter‘ gewesen seien!), und selbst 
wenn es der Fall gewesen wáre, dab früher an Bayern das Schenkenamt und an Schwa- 
ben das Kümmereramt dauernd gehaftet hütte, dann würe die Übertragung dieser 
Ämter von Bayern und Schwaben an Brandenburg und Bóhmen zu dauerndem Be- 
sitz und das dadurch angeblich begründete Wahlrecht noch nicht erklärt. Wenn das 
Erzamt die Grundlage des Vorstimmrechts gewesen wäre, dann wäre es auch auf- 
fallend, dab 1275 des Kurrecht des bayerischen Herzogs in der Aussage des Pfalz- 
grafen vor dem Hofgerichte ratione ducatus begründet werden konnte. Die Ent- 
stehung der Ámtertheorie im Sachsenspiegel ist ganz durchsichtig. Der Spiegler, 
der nach einer Erklärung suchte, warum gerade die tatsächlich vorhandenen Haupt- 
wähler die „ersten an der Kur'* waren, fand das Charakteristische für diese Zugehörig- 
keit zu dem bevorzugten Wählerkreis darin, daß sie Reichsehrenwürdenträger waren. 
Er schrieb zwei sächsischen Fürsten dieses Vorrecht zu; der Markgraf von Branden- 
burg wird uns von ihm zum erstenmal als Besitzer des Kurrechtes genannt. Da lag 
es nahe, gerade das Merkmal, wodurch der Brandenburger sich von anderen Fürsten 
unterschied, besonders zu betonen. Und das war das Kämmereramt, das damals 
der Brandenburger innehatte, wobei es Exkx aber nicht entging, da er dann den Aus- 
schluß des Böhmen anders motivieren mußte. 
Zweifellos hat nun aber die Ämtertheorie Eızkzs große Wirkung auf die Auffas- 
sung vom Entstehen der Kurfürsten schon im 13. Jh. gehabt. 
Die Erzämtertheorie war entstanden, gewissermaßen abgelesen von den tat- 
sächlichen Verhältnissen. Die zufälligen Inhaber der Erzämter im Anfang des 13. Jhs. 
waren die angesehensten Fürsten, die mächtigsten Reichslehnsfürsten und daher tat- 
sächlich die ersten an der Kur; ihr Vorrecht liegt nicht im Erzamt, sondern in ihrer 
allgemeinen Stellung begründet. 
2. Die Krónungstheorie. Mit der Erzümtertheorie zusammenhüngend, gewisser- 
maBen eine Einschränkung dieser Theorie auf nur eine Seite des Erzamtes darstellend, 
ist die Krónungstheorie. Die Krónung soll rückwirkend auf die Wahl den Einfluß ge- 
habt haben, daß die Beamten, die hauptsächlich an der Krönung beteiligt waren, auch 
die hauptsächlichsten Wahlfürsten wurden.?) Durch die Krónung wird ja der Kónig erst 
in sein Amt eingewiesen; es ist einleuchtend, daß man diesen investierenden Fürsten 
leicht auch ein besonderes Recht auf die Wahl zuschrieb. Indessen ihre Beteiligung 
an der Krönung ist doch eine recht ungleichwertige. Wäre die Krönung die alleinige 
Quelle ihres Wahlrechtes, so hätte dies ein Kurkolleg ergeben müssen, in dem der 
Kölner Erzbischof eine Hauptrolle spielte. Immerhin wird aber die Tätigkeit bei der 
Krönung mit beigetragen haben, daß gewisse Fürsten vor anderen einen Vorzug er- 
hielten, ihnen ein größeres Ansehen eingeräumt wurde, 
3. Die Kinsetzungstheorien®); sie schieden sich wieder in eine kuriale und in eine 
imperiale. 
Zunächst findet sich in der päpstlichen Dekretale ,, Venerabilem“ (1202) die Idée 
einer translatio imperii durch den Papst auf Karl d. Gr., und das wurde schon vom 
Stricker so umgedeutet, daß Karl d. Gr. das Kurrecht der deutschen Fürsten be- 
gründet habe. Seitdem gab es eine karlische Fassung, wonach Karl d. Gr. das Kur- 
fürstenkolleg eingesetzt habe. 
Im Gegensatz dazu bringt zuerst Martin von Troppau in seiner Chronik (vor 
1277 geschrieben) die Version, daB nach der Ottonenzeit das Kurkolleg eingesetzt: 
1) Vgl. O. HARNACK aaO. S. 42f. 
2) H. BRUNNER, Grundzüge der deutschen Rechtsgesch.* 1919. S. 135. 
3) Von BucuxER Kurfürstenfabel genannt. 
    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
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