Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

154 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
4. Die Theorie vom Ursprung aus dem Stammesherzogtum.!) Das Wahlrecht der 
Stämme, ausgeübt durch die Stammesherzöge, soll nach dieser Auffassung die Grund- 
lage für das Kurkolleg gewesen sein. Die Vertreter der deutschen Stämme hatten 
naturgemäß eine schwerwiegende Stimme bei der Wahl eines neuen Königs gehabt. 
Auf ihre Gewinnung für den in Aussicht genommenen Kandidaten kam es ja vor 
allem an, mehr als auf die anderer Fürsten. Sie gaben daher auch bei der Kur zuerst 
ihre Stimmen ab. So hatten unter den weltlichen Fürsten die Stammesherzöge aller- 
dings von Anfang an eine Gruppe von Hauptwählern gebildet. Aber mit der später 
eingetretenen Zersplitterung der Stämme, der Auflösung der alten Stammesherzog- 
tümer und dem Emporkommen neuer überragender fürstlicher Gewalten war eine 
Verschiebung dieses Hauptwählerkreises eingetreten, so daß er nicht mehr fest ge- 
schlossen war. 
Jedenfalls hatten die Stämme für die Wahl die frühere Bedeutung nicht mehr, 
als sich das Kurkolleg bildete. Durch die Theorie des Sachsenspiegels und durch die 
Ubertragung dieser Theorie in die Reichsverfassung im Braunschweiger Weistum 
vom J. 1252 hatte das Stammesherzogtum seine Rolle ausgespielt gehabt, fand also 
auch in dem neuen Wihlerkreise, — es fehlt der bayerische Herzog, — nicht mehr eine 
seiner fritheren Bedeutung entsprechende Beriicksichtigung. 
9. Die Elektortheorie. THEODOR LINDNER sah die Wurzel des Kurkollegs in dem Elektor. 
In seinen ersten einschlägigen Schriften?) nahm er eine formlose Einigung auf einen Kandidaten 
an, den dann der Erzbischof von Mainz, in seiner Eigenschaft als Elektor, als den Gewählten ver- 
kündigte. Später gab er zu, daß es eine wirkliche Erwählung mit Abstimmung gegeben habe, 
die allmählich entstanden sei, bleibt aber dabei, daß die eigentliche Kur, d. h. die Ausrufung des 
Königs (electio) mit der anschließenden Gelobung (laudatio) der Anwesenden durch Handschlag 
und Treueid die Hauptsache gewesen sei. Später soll die Erwählung durch die Fürsten in Vergessen- 
heit geraten und wiederum später auch die laudatio fortgefallen sein, so daß nur ein Teil der Kur, 
die electio, iibrigblieb. Wie aber aus einem elector sechs Elektoren erstanden sind, das weil Lixp- 
NER nicht anzugeben. Er wirft die Frage auf, ob der Spiegler die Auswahl von mehreren Wahlver- 
kiindigern schon vorgefunden oder sie erst ersonnen habe. Jedenfalls spreche die Aufnahme des 
Brandenburgers in die Zahl der Elektoren dafür, daB die Auswahl in Sachsen erfolgt sei. „Das Neu- 
land macht sich hier zum ersten Male geltend.“) 
An dieser Theorie ist so viel richtig, daB seitens mancher Fürsten, besonders seitens einzelner 
Mainzer Erzbischófe in der Tat das Bestreben geltend gemacht worden ist, als Elektor schlechthin 
zu gelten. Aber dieser Elektor darf nicht als bloBer Wahlverkündiger mit nur formellem Vorrecht, 
sondern mul als tatsüchlicher ,,Kónigsmacher" oder doch als der Hauptwáhler schlechthin aufgefaft 
werden. Aus solchen Bestrebungen Mainzer Erzbischófe und den ihnen widerstrebenden Tendenzen 
anderer geistlicher und weltlicher Wähler ergab sich schließlich als Produkt der sechs bis sieben 
Fürsten umfassende Elektorenkreis. Aber eine Art Verkündigung durch den Mainzer ist wohl doch 
noch. erfolgt. 
6. Die Theorie des Auctor vetus de beneficiis. Dieses Rechtsbuch führt die Entstehung des 
Kurkollegs auf die Bürgschaft für die Rechtmäßigkeit der Wahl, die dem Papst durch sechs den zur 
Kaiserkrönung kommenden König begleitende Fürsten geleistet wird: rex quem eligunt Theutonici, 
cum Romam vadit ordinari, secum ibunt de iure sex principes, qui primi sunt in eius electione, ut 
pateat apostolico regis iusta electio.*) Eine solche Pflicht der Kurfürsten ist indes nicht nachzuweisen. 
*. Die Theorie vom Einfluß der Bischofswahlen. Bei der Beobachtung, daf Bischofs- und 
Papstwahlen auf die Kónigswahlen eingewirkt haben, ist zunächst bewuBte Nachahmung, dann 
auch unbewubter EinfluB verteidigt worden. Die Rezeption kanonischer Wahleinrichtungen soll zur 
Bildung des Kurkollegs geführt haben.*) 
Zweifellos hat Analogie und Einwirkung des fremden kirchlichen Rechtes zur geordneten 
Ausbildung des Wahlverfahrens bei der deutschen Königswahl nicht unwesentlich beigetragen. 
Aber es bleibt dann noch zu erklären, warum gerade diese sechs oder sieben und keine anderen 
Fürsten Kurfürsten wurden, und das erklärt sich nicht aus dem kirchenrechtlichen Einfluß. 
  
1) Hauptvertreter: PurrrrPs aaO. und WEILAND aaQ., auch BUCHNER, Entstehung der 
Erzämter S. 273. Nach WEILAND war nach dem Verschwinden des Stammesherzogtums das 
Erzamt der „theoretische Notbehelf‘, um nunmehr darauf das Wahlrecht zu begründen. 
2) Kónigswahlen (s.0.); der Elektor (s. o.). 
3) LiNDNER, Hergang (s. o.), S. 62. 4) cap. I. 
5) E. MEYER (Deutsche und franz. Verfassungsgesch.) will auch die Skrutatoren im deutschen 
bib finden. Dagegen HUGELMANN, Die deutsche Konigswahl im Corpus iuris canonici, 
es. S. : 
   
        
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
   
    
  
  
    
    
        
    
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