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Kurkolleg. Wahlverfahren 155
„8 Die Theorie von dem „fränkischen Staatsgedanken‘‘ Erzbischof Adolfs von Köln und von der
Begründung des Kurkollegs durch Erzbischof Konrad von Hochstaden: Erzbischof Adolf von Köln habe
zuerst die Idee vertreten, daß gewisse Fürsten (Mainz, Köln, Trier, Pfalz) ein besseres Wahlrecht
als die anderen haben sollten, daß ihren Stimmen ein größeres Gewicht zukäme; schon 1198 sei
diesen Fürsten der Sachsenherzog „kooptiert‘“ worden; der Markgraf von Brandenburg habe sich
dann auf Grund seines Erzamtes einen Platz im Kreise der Kaiserwähler verschafft, ebenso sei schließ-
lich der Böhme auf Grund seines Erzamtes in diesen Kreis gekommen. Der Kölner Erzbischof
K. v. Hochstaden habe dann auf einer Wahlversammlung zu Frankfurt i. J. 1256 das Kurfürstentum,
d. h. das ausschließliche Wahlrecht eines kleinen Kreises von Fürsten (von den drei rheinischen Erz-
bischöfen, Sachsen, Brandenburg, Pfalz und Böhmen) begründet. — Vertreter dieser Hypothese ist
M. KRAMMER. — Sie beruht indes neben einigen richtigen Beobachtungen auf einer Reihe von will-
kürlichen und unhaltbaren Annahmen.
9. Die Theorie von der Begründung des Kurfürstentums durch ein auf dem Braunschweiger Tag
von 1252 gefundenes Weistum: BLOCH und BUCHNER gelangten unabhängig voneinander, ausgehend
von dem von Zeumer wiederentdeckten Weistum von 1252, das die Rechtswirkung der ,,einmütigen*
Wahl in bezug auf die Kaiserherrschaft festlegte (s. S. 103), zu dem Ergebnis, daß gelegentlich der
Nachwahl Wilhelms von Holland i. J. 1252 zu Braunschweig ein zweiter Rechtsspruch gefunden
wurde, der die Frage beantwortete, unter welchen Umstünden eine Wahl als ,,einmütig'! gelten
kónne. Wührend aber Brocu als Inhalt dieses Spruches vermutet, daf) er den als einmütig gewählt
bezeichnet habe, ,,auf den die Stimmen aller Kurfürsten (oder ... aller Fürsten, die eine Einzel-
stimme bei der Kur führen ...) zusammenkamen", wührend somit BLocH die Zusammensetzung
dieses Kurfürstenkreises für 1252 schon als gegeben voraussetzt, glaubt BUCHNER, daß der Inhalt des
vermuteten Weistums die Abgrenzung des zu einer einmütigen Wahl nótigen Wühlerkreises zum
Gegenstand hatte, indem er die zur einmütigen Wahl unerläBlichen Wähler festlegte und als solche
die drei rheinischen Erzbischófe, Pfalz, Sachsen und Brandenburg sowie für den Fall einer Zwiekur
auch Bóhmen nannte.
B. Die Entwicklung des geordneten Wahlverfahrens.
Das 13.Jh. ist die Zeit, in der das deutsche Wahlverfahren sich vollstándig ver-
ändert. Zunächst hatte es bisher keine allgemein verbindliche Wahlhandlung gegeben.
Die zur Wahl Erschienenen, wenn es auch nur eine Minderheit der Reichsfürsten war,
galten zwar als die Gesamtheit der Wahlfürsten, aber derjenige, der sich von der Wahl
fernhielt, war nicht rechtlich verpflichtet, den Ausgang der Wahl anzuerkennen.*) Die
Wahl hatte also keine allgemein verbindliche Autorität. Entweder durch freiwilligen
und stillschweigenden Beitritt erfolgte nachträglich die Zustimmung der Ferngeblie-
benen, oder durch Druck, Verhandlung und Zwang. Diese nachträgliche Anerkennung
hat bisweilen sich in der Form einer späteren Unterzeichnung des Wahldekrets voll-
zogen, bisweilen auch in dem formellen Akte einer Nachwahl.
Hier war der große Fortschritt des 13. Jhs., daß man zu einer Verbindlichkeit des
Wahlaktes gelangte, und zwar auf dem Wege der genauen Festlegung desWahlverfahrens.
Schon O. HARNACK?) hatte nachgewiesen, daß in den Wahldekreten, die uns über die deut-
schen Königswahlen aus der zweiten Hälfte des 13.Jhs. erhalten sind, die formelhaften Ausdrücke
über das Wahlgeschäft mit denjenigen der päpstlichen Wahlverkündigungen übereinstimmten, und
daß auch das Zeremoniell bei der eigentlichen Königswahl, besonders seit Rudolf I., mit dem der
Papstwahl verwandt sei. Nachdem dann SEELIGER?) noch besonders darauf hingewiesen, daß die
Kurfürstenforschung mehr als bisher den Beziehungen zwischen Königswahl einerseits und Bischofs-
bzw. Papstwahl andererseits nachgehen müsse, haben besonders BRESSLAU, E. MAYER und v.
WnazETSCHKO, diesen Spuren trotz LINDNERS Einspruch folgend, neuerdings unsere Kenntnis der Wahl-
vorgànge wesentlich gefórdert.*) Án
Der Wahlmodus, d.h. die Aufeinanderfolge der einzelnen Vorgänge bei der
Königswahl war folgendermaßen: Zuerst feierlicher Gottesdienst als Einleitung des
Wahlaktes; dann Beginn der Wahlhandlung durch einen Protest gegen die Anwesen-
heit von Exkommunizierten, Suspendierten und Interdizierten und gegen die Teil-
nahme Unberechtigter, sowie Ungültigkeitserklärung solcher Stimmen im voraus, falls
1) Jedoch war es kirchliche Auffassung, daß man dem gekrönten König gegenüber zur An-
erkennung verpflichtet war. j a
2) Auch früher war schon auf analoge Momente hingewiesen worden. HARNACK, Kurfürsten-
kolleg S. 107.
S 3) DZG. Monatsblütter 2, S. 24. Der Gedanke stammt von BRESSLAU (persónliche Mitteilung).
4) BrEssLAU und v. WRETSCHKO aa0. E. MAYER, Deutsche und franzósische Verfassungs-
gesch. vom 9. bis zum 14. Jh. 2. 1899. S. 382f.